15.06.2010

Vorwort

Imre Vargas Werke sprechen für sich. Sie bedürfen keiner Erklärung, keiner Interpretation. Ihre Sprache ist so unmittelbar, ihre Botschaft so evident, dass ein sensibler Mensch sie verstehen muss. Dennoch bleiben dem Betrachter, der sich nur auf sein Gefühl verlässt, manche geistreichen Feinheiten, ironischen Anspielungen, tragischen Zusammenhänge verborgen, wenn er nichts oder nur sehr wenig über das gesellschaftliche und persönliche Umfeld weiß, in dem sie entstanden sind und auf das sie sich beziehen. Eine Kenntnislücke, die insbesondere Gästen aus dem Ausland, aber - wenngleich in geringerem Maße - wohl auch manchem Ungarn den näheren Zugang erschwert.

Über diese Hintergründe wollte ich etwas erfahren, aber nicht aus zweiter Hand, sondern durch das Gespräch mit dem Künstler selbst. So entstanden an sechs auf einander folgenden Wochenenden im Frühsommer 1994 die vorliegenden Interviews. Ich besuchte Imre Varga in den Räumen seiner Ständigen Ausstellung in Óbuda, und er kommentierte seine Werke, äußerte Philosophisches und Anekdotisches über persönliche Erfahrungen, Ansichten und Einsichten, über sein Leben und seine Kunst, aber auch über Menschen, die auf irgendeine Weise daran teilhatten.

Mit der Wiedergabe dieser Gespräche möchte ich dem Leser einen authentischen, unverfälschten Eindruck von der Persönlichkeit und vom Werk Imre Vargas vermitteln. Deshalb habe ich mir bei der redaktionellen Bearbeitung der Interviews äußerste Zurückhaltung auferlegt und auf eigene Deutungen und Wertungen weitgehend verzichtet. Im Anhang zusammengestellte, kurz gefasste biographische Daten der im Gespräch erwähnten Personen sollen zu einem besseren Verständnis der historischen Zusammenhänge beitragen.

Dieses Buch soll den Leser aber auch mit den in Ungarn nicht zugänglichen Werken Imre Vargas bekannt machen. Das sind zum einen eine Reihe von Plastiken und Gobelins, die in den letzten Jahren entstanden sind und in Deutschland auf imposante Weise ungarische Kunst repräsentieren. Zum anderen möchte ich aber auch jenen politischen Denkmälern "ein Denkmal setzen", die im Überschwang der neugewonnenen Freiheiten nach der Wende in Ungarn ungeachtet ihres künstlerischen Wertes vom Sockel gestürzt wurden.

Imre Varga war und ist stets bemüht, dem Menschen gerecht zu werden. Und durch diese Haltung, so meine ich, behält sein Werk Gültigkeit über nationale und ideologische Grenzen hinweg und über den Tag hinaus.

Budapest, Juni 1995

Christa Nickel

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