16.06.2010

Porträts - V


Das Charakteristische eines Porträts kann eventuell in drei charakteristischen Punkten erfasst werden, dem kultischen Anspruch genügt das jedoch nicht. Deshalb also hat sich auch die römische Porträtkunst von derjenigen, die sich in allen anderen Gegenden der Welt entfaltet hat, stets grundlegend unterschieden: die naturalistische Identifikation war dort nicht die Erfüllung irgendeines natürlichen, sondern Teil eines kultischen Bedürfnisses. Am liebsten hätte man abgehauene Köpfe gezeigt.

Meine Auffassung des Porträts entsprach also nicht der des römischen Porträts, sondern ich war bestrebt, mich eher auf die charakteristischen Züge zu beschränken. Das bedeutet nicht, dass sie in einem Profil sichtbar werden müssen, es kommt auch vor, dass meinetwegen die Haarfülle charakteristisch ist. Ein Beispiel dafür ist das Porträt der Ehefrau eines Freundes, das sich hier befindet. Die Dame hat es nicht gern gesehen, im Gegenteil, sie empörte sich darüber: ich wollte nämlich in dem Porträt Charakteristika ihrer Persönlichkeit andeuten, wie beispielsweise ihre Verschlossenheit gegenüber Menschen. Um hierauf hinzuweisen, habe ich mich bemüht, ihr den Charakter einer ägyptischen Porträt-Skulptur zu verleihen. Zum Beispiel das Porträt Nofretetes oder das 80 cm große Figürchen der Herzogin im Louvre. Also, diese sehr auf Distanz bedachte Strenge ist auch bei ihr vorhanden, und sie hat das auch gespürt, aber sie dachte, es entspreche nicht ihrem Wesen, obschon es sehr wohl so war. Das stellte sich später auch bei der Reaktion von Besuchern heraus. Nun, auch das ist ein Porträt.

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