16.06.2010

À la recherche - II

Bezeichnend für die europäische Kunst - ich möchte nicht auf jede einzelne Phase bis ins letzte Detail eingehen - ist diese gewisse Annäherung an eine Natur, die den Gott in sich zu bergen vermag. Im Impressionismus wurde sie erreicht. Denken wir nur an das Bild, das vielleicht die vollkommenste Form des Impressionismus darstellt: es ist weder besonders farbenprächtig noch übermäßig ans Herz greifend, es ist einfach das Bild eines Seerosenteiches - ein Gemälde von Monet. Von Anfang an wollte Monet es so malen, als würde man den Teich von seiner Mitte aus betrachten - das heißt, es war nicht als flaches Bild geplant, sondern für einen kreisförmigen Saal, in dessen Mitte der Betrachter sitzt und ringsum, auf allen Seiten, auf den Teich blicken kann. Dieser Teich überflutet den Raum, und man nimmt darin einen Tautropfen auf einer Seerose wahr. Und das innere Leuchten, das daraus erstrahlt, das ist ungefähr der Punkt, an dem wir diese konvergente Bewegung erhaschen können. Das ist der kurze Augenblick der Konvergenz, durch den der Strahl, wie durch eine Linse hindurch, geradeaus weiterläuft. Und das darin verborgene Bild, das bereits bewirkt hat, dass der Blick alles andere ausschließt und sich in diesem einen Punkt realisiert, wird durch diesen Lichtstrahl zergliedert, der dem Einfallwinkel entsprechend weiterläuft und einzelne Elemente herausgreift. Weiter kann man in der Annäherung an eine naturalistische Sichtweise kaum gehen.

Deshalb also greift der Künstler eine Teilansicht heraus und baut das Ganze darauf auf. Das ist eine fragmentarische Kunst. Eine solche fragmentarische Kunstrichtung ist beispielsweise der Konstruktivismus; ist doch die Konstruktion nicht als Selbstzweck, aber in der Annäherung zwischen Gottesbegriff und Natur, auch in einem Rembrandt-Bild verborgen. Ich glaube, man kann kaum etwas Konstruktiveres machen als das. Wieder greift der Strahl die Konstruktion heraus und baut daraus einen selbständigen Gott. In der Malerei Mondrians gibt es eine, ich glaube, fünfteilige Bildreihe. Das erste Bild stellt einen Baum dar. Dann, in den folgenden Bildern, wird der Baum immer weiter abstrahiert, bis schließlich nur noch Quadrate zu erkennen sind. Das Bild ist sehr aufschlussreich. Die abstrakte Kunst nämlich, die von sich behauptet, autonom zu sein, ist ja in der Vorstellung des Künstlers noch gegenständlich. Ist es doch das konkrete Bild eines Baumes, aus dem dieses reizvolle, rhythmisch schöne mondrian'sche Würfelsystem entstanden ist.

Ein solcher Gedankengang läuft auch im Fall des besagten Lichtstrahls ab: in diesem kurzen Augenblick, wenn auf diesem einzelnen Tautropfen auf dem Rosenblatt die im Verlauf der Geschichte konvergent gewordenen Bestrebungen nach dem Gottesbild und dem realen Bild zusammentreffen, zerfällt die Naturgottheit. Sie zerfällt in Pointillismus, wenn das herausgreifende Licht nicht die Struktur, sondern die Farbe hervorhebt. Seurat zufolge sind die Farben der Gemälde deshalb nicht intensiv genug, weil sie gemischt sind. Deshalb trägt er die zum Mischen bestimmten Farben in ihrer ursprünglichen Reinheit in einzelnen Tupfern auf. Er löst also die Farben des Bildes auf und setzt klare Farbtupfer nebeneinander. Man muss etwas zurücktreten, und schon nimmt das Bild klare Formen an und tritt aus dem Nebel hervor. Nun, das ist die gegenständliche Malerei im Stil Seurats. Besonders an eines seiner Bilder erinnere ich mich jetzt, ein Flussufer, es war ein ebenso konventionelles Bild wie die übrigen, nur aus Pünktchen bestehend.

1 Kommentar:

  1. Mondrian, Piet
    * 07.März 1872 Amersfort
    + 01.Feb.1944 New York
    Holländischer Maler. Begann nach seiner Ausbildung an der Akademie in Amsterdam als Figuren- und Landschaftsmaler, kam in Paris mit dem Kubismus in Verbindung und wurde dann in Holland Wegbereiter der abstrakten Malerei.

    Monet, Claude
    * 14.Feb.1840 Paris
    + 06.Dez.1926 Giverny
    Französischer Maler. Ging vom dunkeltonigen Figurenbild zur Freilicht- und damit zur Landschaftsmalerei über und entwickelte sich zum Hauptvertreter des französischen Impressionismus. Mit subtiler Pinseltechnik gelang ihm die Wiedergabe des flimmernden Lichts und feinster atmosphärischer Stimmungen.

    Rembrandt, eigentlich R. Harmensz van Rijn
    * 15.Juli 1606 Leiden
    + 04.Okt.1669 Amsterdam
    Holländischer Maler und Radierer. Stärkste und vielseitigste Erscheinung der holländischen Malerei des 17. Jh. Vor allem sein Frühwerk ist charakterisiert durch dramatische Spannungen, die er durch dämmriges Licht oder Hell-Dunkel-Gegensätze erreicht. In der
    Spätzeit gelangt er zu einer letzten Vergeistigung und einer neuen farbigen Ausdruckskraft, wird aber von seinen Zeitgenossen nicht anerkannt.

    Seurat, Georges
    * 02.Dez.1859 Paris
    + 29.März 1891 Paris
    Französischer Maler. Vollzog um 1885 die Wende zum Neo-Impressionismus oder Pointillismus. Seurat versuchte, seine Bilder nach wissenschaftlichen Kriterien aufzubauen, was von den eigentlichen "Impressionisten" seiner Zeit abgelehnt wurde.

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