16.06.2010

Porträts - VIII

Diese Geschichte war also dem Porträt vorausgegangen, das ich später von Kádár gemacht habe. Wir waren dabei stehen geblieben, dass ich György Aczél das Porträt übergab. Ich durfte kein zweites Exemplar davon gießen lassen, durfte das Gipsmodell nicht behalten, mit einem Wort: es war für das interne Protokoll bestimmt. Nun, ich halte diese Skulptur ebenso für eine künstlerische Leistung wie meine anderen.

Es gibt ein herrliches Porträt eines Römers, von dem wir wissen, dass er ein Wucherer war, in der Nähe von Venedig lebte und Caecilius Iucundus hieß. Seinen Namen kennen wir von der Inschrift der Skulptur. Iucundus, das bedeutet eigentlich "der Scherzende, der Fröhliche". In gewissem Sinn jedoch deutet es auch auf Homosexualität hin, wie das Wort "gay" im Englischen. Nach seinem Porträt zu schließen, war dieser Caecilius Iucundus so ein 150-Kilo-Mensch, unglaublich beleibt, mit einem dreifachen Kinn und einer mächtigen Warze darunter. Trotzdem ist sein Bildnis das schönste römische Porträt, das ich jemals gesehen habe.

Als ich mit der Arbeit an Kádárs Porträt begann, suchte ich den gebrochenen alten Mann in ihm aufzuspüren, in den Augenblicken des Scheiterns, der Aussichtslosigkeit in seinem Konflikt mit sich selbst. Aus diesem Grund war seiner Frau das Porträt nicht sympathisch. Meiner Ansicht nach war das, was ich machte, auch im historischen Sinn authentisch, weshalb ich mich ruhig dazu bekannte und natürlich auch weiterhin bekennen werde. Wenn ich das Porträt von Caecilius Iucundus gemacht hätte, Herrgott, wie würde ich mich freuen!

Das war also das Porträt, das auf natürliche Art - genauso wie der erwähnte Tautropfen auf den Blütenblättern der Seerose - eine Art Linse ist, in der die Kunstrichtungen in der Zeit zusammenlaufen, für eine Weile divergieren und später dann erneut konvergent werden. Hierin nämlich hat eigentlich alles seinen Platz. Wann diese Konvergenz eintreten wird, weiß ich nicht: wohl kaum, solange ich lebe, denn vorläufig sind die einzelnen divergenten Tendenzen noch zu virulent. Aber wenn große Reiche entstehen: diese großen Reiche bringen immer konstruktive Kunst mit sich. Und in gewissem Sinn war die konstruktive Kunst auch immer die Kunst der großen Diktaturen. Ich wünsche mir nicht, dass im Laufe meines Lebens noch einmal eine solche konstruktive Kunst entsteht. Wir hatten genug davon.

1 Kommentar:

  1. Aczél, György
    * 31.Aug.1917 Budapest
    + 06.Dez.1991 Budapest
    Ungarischer kommunistischer Politiker. Seit 1957 einflußreiche kulturpolitische Funktionen, eine Zeitlang "Kulturpapst".

    Kádár, János
    * 25.Mai 1912 Fiume (heute Rijeka, Kroatien)
    + 06.Juli 1989 Budapest
    Ungarischer kommunistischer Politiker. Mitglied der KPU seit 1931. Nach dem ungarischen Volksaufstand 1956 bildete er im sowjetischen Auftrag neue Regierung. Von 1956 bis 1988 Erster Sekretär des ZK, 56-58 und 61-68 zugleich Ministerpräsident.

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