15.06.2010

Märtyrer, Opfer und Helden - I

Schon bei meinem ersten Besuch hier in der Ausstellung war es die Figur Radnótis, die mich am stärksten berührte, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Sein Name, seine Dichtung und sein Schicksal sind im Ausland leider viel zu wenig bekannt. Wann und wie kam es zu diesem Denkmal? Und wer war Radnóti?

Eigentlich müssen wir hier zwei Wege einschlagen. Der eine Weg ist der, dass ich über Radnóti spreche. Der andere ist mein eigener Lebensweg, in dessen Verlauf ich irgendwo auf Radnóti traf. Nun, ich beginne mit meinem Weg und werde dann zu seinem Lebensweg übergehen, bzw. zu der Zeit nach seinem Tod.

Der Zweite Weltkrieg hatte mich in eine eigenartige Situation der Isoliertheit gebracht. Ich war Soldat, und die Nachrichten, die mich erreichten, waren ein Extrakt, ein Filtrat, aber auch die Nachrichten, die ich nach Hause sandte, wurden mehrfach gefiltert. Über die Ereignisse in der Heimat erfuhren wir nur wenig, und die paar zu Hause verbrachten Urlaubstage waren nicht dazu angetan, in vollem Umfang und voller Wahrheit durchschauen zu können, was sich im Lande abspielte. 1945, nach dem verlorenen Krieg, geriet ich selbst ein wenig in die Lage eines Parias - das ist, wie Sie wissen, die unterste Kaste bei den Hindus -, oder sagen wir, ich wurde zu einem Staatsbürger dritter Klasse. Gerade deshalb, weil meine Kriegsauszeichnungen und mein Offiziersrang mich brandmarkten, und weil die Gegenwart der russischen Armee diese Situation noch weiter andauern ließ, wurde auch ich empfindsamer gegenüber Schicksalen, die dem meinen ähnlich waren. Besonders wenn sich diese Art drittklassiger Staatsbürgerschaft manifestierte. Hierzu zählten die jüdischen Intellektuellen, die ihrer Abstammung wegen zu Menschen dritter Klasse gestempelt wurden.

Miklós Radnóti war bereits ein sehr guter Dichter, mit einer reichen Gefühlswelt und einer ausgeprägten Hinwendung zur klassischen Philologie. Als Radnóti in den Arbeitsdienst eingezogen wurde - der für die jungen jüdischen Männer zum Kriegsdienst wurde, ohne Waffen, nur mit Spaten und Schaufel - hatte man von mehreren Seiten versucht, ihm zu helfen, ihn vor dem Arbeitsdienst zu bewahren. Er jedoch nahm die Hilfe nicht an, und so wurde er erst in ein hiesiges Lager gebracht, dann nach Bor in Jugoslawien, Serbien, wo er in einem Kupferbergwerk arbeitete. Dort schrieb er seine vielleicht ergreifendsten Verse, die "Ansichtskarten" - "Razglednica". Sie vermitteln die Atmosphäre des Arbeitslagers, des Konzentrationslagers. Radnóti blieb selbst noch im grausamsten Schicksal, im Zustand der physischen Verzweiflung ein Dichter, ein ungarischer Dichter. Als er auf dem Gewaltmarsch, der von Bor durch Ungarn hindurch in Richtung Westen in ein anderes Konzentrationslager führen sollte, physisch bereits so geschwächt war, dass er nicht weitergehen konnte, wurde er durch Genickschuss getötet. Er beschrieb dieses Ende im voraus, nachdem es vor seinen Augen bereits anderen geschehen war - er selbst war schon mehrmals zusammengebrochen, aber dennoch wieder aufgestanden. Die Verse, die er über diesen Weg, über den Todesmarsch schrieb, wurden in einer Tasche seiner Windjacke gefunden, als man 1946 seinen Leichnam aus dem Massengrab ausgrub. Recht interessant ist übrigens - wenn dieses Wort hier überhaupt angemessen ist - die seelische Kraft, das alles durchzustehen, ohne sich selbst aufzugeben. Sein Leib ist gleichsam schon dahingeschwunden, die körperliche Anstrengung und Pein nehmen ihm fast den Verstand, und dennoch bleibt er noch immer ein Dichter. Mit einem Bleistiftstummel kritzelt er auf Papierfetzen oder in ein Notizheft die Verse, die dann nach seinem Tod veröffentlicht werden. Diese Versreihe ist der seelische Ausdruck der physischen Vernichtung eines Menschen.

3 Kommentare:

  1. Radnóti, Miklós
    * 5.Mai 1909 Budapest
    + zw.6.u.10.Nov.1944 Abda
    Ungarischer Lyriker. Gymnasiallehrer, Übersetzer. Starke intellektuelle Prägung, humanistische Grundhaltung. Wurde als Jude in ein Zwangsarbeitslager verschleppt und auf dem forcierten Marsch in ein deutsches Vernichtungslager von der SS erschossen.

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  2. Hallo Christa,

    die ersten beiden Passagen sind doppelt, ich nehme mal an, dass das nicht gewollt ist.

    LG Ina

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  3. Super, Ina, viiielen Dank! LG, Christa

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