Ich würde gern noch einmal auf Babij Jar zurückkommen. Mich hat an der Gestaltung des Denkmals besonders berührt, dass Sie die Opfer durch Christusfiguren dargestellt haben. Diese Symbolik lässt sich auf mehrfache Weise deuten. -
Sehen Sie, damit ist eigentlich eine Metamorphose gemeint: Im Leiden wird der Mensch zu Gott. Das ist ein Gedanke von Thomas Mann. Thomas Mann schreibt in "Josef und seine Brüder" von diesem Übergang des Pharao vom Leben zum Tod, bei dem seine Knochen zu Silber werden. Eine solche Metamorphose findet eigentlich auch hier statt: der leidende und sterbende Mensch verwandelt sich in Christus, in Gott. Ich habe wieder nur einen Vorgang ins Bildliche übertragen: diese Felsen hier kann ich nicht und möchte ich auch nicht verwandeln, also verwandle ich die Gestalten der Opfer. Die Menschen, die in die Schlucht stürzen, sie verwandeln sich in Christus.
Mit diesem Denkmal hätte man seinerzeit Jewtuschenko eigentlich den Rücken stärken können, aber damals freute sich niemand so recht darüber. Mit der Kunst lässt sich auch politisieren, und ich finde, dass ich das sehr anständig gemacht habe. Ich setzte dafür vieles aufs Spiel. Freilich, heute ist es schon uninteressant, ob eine Sache damals riskant war oder nicht. Wer heute das Gleiche sagt, der kann es schon laut herausschreien, ich konnte es nur in verschlüsselter Form sagen. Aber ich habe dabei viel gewonnen, denn wenn man so zu sprechen lernt, dass eine Aussage mehrere Deutungen zulässt, dann nähert man sich eigentlich schon der Poesie. Ein poetisches Wort ist ja nicht nur, was es scheint, sondern es steckt mehr dahinter. Es sagt auf der zweiten, der poetischen Ebene manchmal mehr als man in anderer, prosaischer Form ausdrücken könnte.
Jewtuschenko, Jewgeni Alexandrowitsch
AntwortenLöschen*18.Juli 1933 Station Sima (Gebiet Irkutsk)
Russisch-sowjetischer Dichter, Regime-Kritiker. Von seinen Dichtungen wurden vor allem Babij Jar (1961 ) und Nasledniki Stalina (Stalins Erben, 1962) berühmt.
Mann, Thomas
* 6.Juni 1875 Lübeck
+ 12.Aug. 1955 Zürich (Schweiz)
Größter Schriftsteller der deutschen bürgerlichen Literatur; Romancier, Novellist und Essayist. Erhielt 1929 den Nobelpreis für Literatur, obwohl solche Hauptwerke wie z.B. der hier erwähnte Roman "Joseph und seine Brüder" (1933-43) noch nicht einmal erschienen waren. In Ungarn des öfteren auf Vortragsreise, entwickelte sich unter den ungarischen Intellektuellen und Mitgliedern des höheren Bürgertums ein wahrer Thomas-Mann-Kult. Nach Hitlers Machtübernahme wählte Thomas Mann das Emigrantenschicksal.