Welche anderen Skulpturen gibt es noch von Ihnen in Deutschland?
Es gibt noch einige Skulpturen, was jedoch ihren Standort angeht, bin ich in sehr großer Verlegenheit. Von einem Radnóti in Überlingen weiß ich, und irgendwo gibt es eine etwa 1,5 m große Skulptur des Kopernikus, aber auch noch andere, die ich nicht so schnell aufzählen kann, denn viele wurden auch über meinen Kunsthändler verkauft. Es kommt vor, dass ein Privatsammler eine Skulptur bei mir sieht und mitnimmt und sie dann irgendwo aufstellt; nur manchmal bekomme ich Fotos zugeschickt. Ich halte das für ganz natürlich, obwohl es mich etwas betrübt feststellen zu müssen, dass die Menschen nicht genügend Vertrauen haben, um für einen gegebenen Platz eine Skulptur zu bestellen. Sie möchten eine fertige Arbeit, wollen sicher gehen. Ich würde mich mehr freuen, wenn sie sagen würden: "Bitte, sehen Sie sich diesen Platz an, den sollen Sie gestalten." Das wäre die elegante Lösung.
Christa Nickel - Imre Varga im Gespräch
16.06.2010
Neuere Arbeiten in Deutschland - V
Vor diesem sehr schönen Ensemble steht eine 4 bis 4,5 m hohe Skulptur, Jakobs Ringen mit dem Engel. Die Federn der geflügelten Gestalt reichen bis unter das Glasdach; sie sind übrigens aus Chromstahl, die Figur aus Bronze, an einer Säule verankert, um die Sicherheit nicht zu gefährden. Jakob kämpft geduckt, gleichsam wie im Traum oder aus einem Traum erwachend.
Ist die Skulptur des Jakob hier in Ungarn die gleiche wie die in Neustadt? - Das ist wieder genauso ein Fall wie beim Sankt Stephan. Insofern, als ich zwar eine ähnliche Variante auch in Ungarn aufgestellt habe, aber die einzelnen Varianten jeweils gesondert hergestellt wurden. Solange ich lebe, sind das keine Kopien. Denn ich bekomme ja einen rohen Bronzeguss, den ich, selbst wenn er aus der gleichen Form gegossen wäre (was aber nicht der Fall ist, denn diese Formen gehen beim Gießvorgang zu Bruch und müssen neu gemacht werden), noch individuell bearbeiten muss. Und überdies ist die Situation eine andere. Der Neustädter Jakob musste so in ein Gebäude eingefügt werden, dass einer der Flügel des Engels 2 cm unter die Decke passte. Der andere Flügel hingegen musste in einen 8 m hohen gläsernen Raum hineinreichen. Es ist offensichtlich, dass die unterschiedlichen Bedingungen eine völlig identische Lösung schon prinzipiell nicht erlauben. Der für Ungarn gefertigte "Kampf Jakobs" steht im Freien, inmitten von Bäumen, wo die Flügel weit ausgebreitet sein mussten, um den Raum auszufüllen. Bei dem Jakob in Deutschland ist es umgekehrt. Hier bestimmte der Raum, wohin er passt, also ist von vornherein schon die äußere Form nicht identisch, aber auch der Inhalt nicht. Zwei verschiedene Varianten, die triumphierende und die kämpfende. Ihr Thema ist das gleiche, zweifellos.
Der diese Reihe abschließende Gobelin stellt die Erschaffung der Welt, die Genesis dar. Er versucht den Glauben mit der wissenschaftlichen Idee des Big Bang, die heute schon wieder von vielen bezweifelt wird, auszusöhnen. Man sieht den Urknall auf einem 3x5m großen, elliptischen Gobelin. Im Explosionszentrum ist ein goldener Gott, im Vordergrund die bereits mit weißen Wolken umgebene Erde. Das ist das Schlussstück der Reihe.
Es gibt jedoch noch einen weiteren Gobelin, in den das Messgewand eines ungarischen Bischofs eingearbeitet wurde, der 1945 den Märtyrertod gestorben ist. Seine Geschichte ist in der Inschrift zu lesen: "HAEC CASULA ORNATA FUIT ALCIS EPISCOPI GUILELMI DE GENERE APOR". Es gehörte dem Bischof Vilmos Apor etc. ... Dieser Gobelin hängt an der Seitenwand einer Kapelle.
Ich glaube, einem Künstler wird selten die Möglichkeit geboten, für ein einziges Gebäude neun Skulpturen und sieben große Gobelins zu schaffen. Solange ich lebe, werde ich dafür dankbar sein.
Neuere Arbeiten in Deutschland - IV
Die Geschichte hatte eine Fortsetzung, als die Klinik erweitert wurde; sie nennt sich jetzt Rhön-Klinikum. Der Vorstand der Klinik erwies mir sein Vertrauen, indem er mich nach diesen beiden vorhergehenden Aufträgen mit der Lösung einer nun schon weitaus komplizierteren Aufgabe betraute, nämlich den Anbau eines neuen Gebäudes, eines L-förmig sich anschließenden Trakts, der nebenbei durchbrochen, transparent war und schrecklich komplizierte Bedingungen hatte, künstlerisch zu gestalten. Ich glaube, das war die schönste Aufgabe meines Lebens. Für diese äußerst komplizierte Aufgabe wählte ich eine ebenso komplizierte Lösung. Als Raumteiler hatte man spanische Wände errichtet - diese spanischen Wände schmückte ich mit Gobelins. Gobelins und und Skulpturen habe ich thematisch zueinander in Beziehung gesetzt und zu einer Gesamtkomposition verbunden. Es war eine faszinierende Aufgabe. - Hatten Sie früher schon einmal Gobelins gemacht? - Ja, aber sie waren kleiner. Aber eigentlich kann man sich keine schönere und bessere Herausforderung vorstellen, als diese mächtigen Gobelins.
Der erste Gobelin, ein goldblättriger Baum vor einem rosafarbenen Hintergrund, stellt eine Geschichte aus der Bibel dar, die Episode von Susanna im Bade, bzw. er ergänzt sie. Nach dem XIII. Buch des Propheten Daniel wollten die beiden Ältesten Susanna erpressen. Der Prophet, der "in heiligem Zorn" gegen das Urteil Einspruch erhob, fragte den einen Ältesten, wo er Susanna habe Unzucht treiben sehen, worauf dieser sagte, es sei unter einem Mastixbaum gewesen. Dieser Mastixbaum mit seinen goldenen Blättern ist in einer Breite von etwa 7-8 m, also fast in natürlicher Größe auf dem Gobelin dargestellt. Zwischen seinen Blättern beginnen bereits die Zweige des zweiten Baumes, von dem der andere Älteste beteuerte, er habe Susanna dort, unter einem Eichenbaum, Unzucht treiben sehen. Die Eiche hat silbrige Blätter, und das machte dem Propheten klar, dass Susanna unschuldig war, die Ältesten aber Lügner. Sie wurden enthauptet. Die Gobelins mit dem Mastixbaum und der Eiche reichen bis zur Ecke. Wenn wir um die Ecke kommen, sehen wir eine etwa 3 1/2 m hohe, mit Eichenblättern verzierte Säule, von der ein etwa 6 m lang ausgebreitetes Tuch aus Bronze herabhängt. Auf diesem Tuch liegt die Akt-Skulptur der Susanna. Die Köpfe der beiden Ältesten jedoch sind am oberen Ende der Säule befestigt.
Damit führe ich den Betrachter in den Raum, an dessen anderem Ende ich in einer Mauervertiefung einen weiteren mächtigen Gobelin angebracht habe, den wunderbaren Fischfang, in diesem Fall aus dem Blickwinkel der Fische gesehen. Tausende von Fischen schwimmen in einem Meer, in einblitzendem Licht, und ein goldenes Netz umfängt sie. Für die rechte und linke Seite habe ich zwei Verdüren gefertigt, die eine mit einem beladenen Schiff, das ans Festland kommt, und mit den trüben Wellen des Meeres, die andere hingegen als Schlussstück dazu, mit einem großen, aus einem Vogelschwarm gebildeten Fragezeichen, und mit sieben Flamingos in der rechten Ecke, anstelle der Signatur.
Der erste Gobelin, ein goldblättriger Baum vor einem rosafarbenen Hintergrund, stellt eine Geschichte aus der Bibel dar, die Episode von Susanna im Bade, bzw. er ergänzt sie. Nach dem XIII. Buch des Propheten Daniel wollten die beiden Ältesten Susanna erpressen. Der Prophet, der "in heiligem Zorn" gegen das Urteil Einspruch erhob, fragte den einen Ältesten, wo er Susanna habe Unzucht treiben sehen, worauf dieser sagte, es sei unter einem Mastixbaum gewesen. Dieser Mastixbaum mit seinen goldenen Blättern ist in einer Breite von etwa 7-8 m, also fast in natürlicher Größe auf dem Gobelin dargestellt. Zwischen seinen Blättern beginnen bereits die Zweige des zweiten Baumes, von dem der andere Älteste beteuerte, er habe Susanna dort, unter einem Eichenbaum, Unzucht treiben sehen. Die Eiche hat silbrige Blätter, und das machte dem Propheten klar, dass Susanna unschuldig war, die Ältesten aber Lügner. Sie wurden enthauptet. Die Gobelins mit dem Mastixbaum und der Eiche reichen bis zur Ecke. Wenn wir um die Ecke kommen, sehen wir eine etwa 3 1/2 m hohe, mit Eichenblättern verzierte Säule, von der ein etwa 6 m lang ausgebreitetes Tuch aus Bronze herabhängt. Auf diesem Tuch liegt die Akt-Skulptur der Susanna. Die Köpfe der beiden Ältesten jedoch sind am oberen Ende der Säule befestigt.
Damit führe ich den Betrachter in den Raum, an dessen anderem Ende ich in einer Mauervertiefung einen weiteren mächtigen Gobelin angebracht habe, den wunderbaren Fischfang, in diesem Fall aus dem Blickwinkel der Fische gesehen. Tausende von Fischen schwimmen in einem Meer, in einblitzendem Licht, und ein goldenes Netz umfängt sie. Für die rechte und linke Seite habe ich zwei Verdüren gefertigt, die eine mit einem beladenen Schiff, das ans Festland kommt, und mit den trüben Wellen des Meeres, die andere hingegen als Schlussstück dazu, mit einem großen, aus einem Vogelschwarm gebildeten Fragezeichen, und mit sieben Flamingos in der rechten Ecke, anstelle der Signatur.
Neuere Arbeiten in Deutschland - III
Nicht weit von Bad Kissingen liegt eine zweite Kurstadt, Bad Neustadt. Meine Verbindung zu Neustadt reicht ebenfalls mehr als ein Jahrzehnt zurück. Hier habe ich den kunstsinnigen Herrn Enoch zu Guttenberg kennen gelernt, der mir als Zierplastik für eine Heilquelle eine Skulptur in Auftrag gab, die ich in gewissem Sinne auch dem Gedächtnis seines Vaters widmete - die Quelle ist nämlich nach ihm "Karl-Theodor-Quelle" benannt. Ich habe dafür einen 4 1/2 bis 5 m großen Adler aus Chromstahl gemacht, der eine Schlange erwürgt. Die Skulptur habe ich kürzlich wiedergesehen, sie hält sich tadellos, ist rostfrei und noch immer schön.
Der nächste Auftrag, ebenfalls in Bad Neustadt, war weitaus problematischer: einem ziemlich barocken Gebäude, einer Klinik, war eine moderne Empfangshalle ganz aus Glas angebaut worden. Das ist von außen gesehen akzeptabel, jedoch die innere Verbindung zwischen den beiden Gebäuden, dem alten und dem neuen, war nicht gut gelöst. Der neue Teil stieß mit einer 4 1/2 x 8 m großen leeren Wandfläche an den alten. Das wirkte unorganisch, die beiden Teile bildeten keine Einheit. Ich löste das Problem, indem ich diese Wand mit einem 4 1/2 x 7 m großen Spiegel verkleidete, in dem sich die neue Architektur wiederholt, und an den Punkt, an dem die beiden zusammentreffen, platzierte ich eine Gruppe von drei Figuren, das "Ankleiden der Braut". Sie schwebt über dem Eingang, der in den Schlossgarten hinausführt.
Auch diese Figurengruppe scheint bis heute allgemein beliebt zu sein. Während meines Aufenthalts dort wurde sie mehrfach fotografiert, und ich besuche sie von Zeit zu Zeit und kann mich davon überzeugen, dass sie gut behandelt wird. Innerhalb der Spiegelwand ist ein zweiter Spiegel eingebaut - das ist eine Spielerei -, in dem man die Akt-Figur der Braut von vorne sieht, und dieser zweite Spiegel hat einen Rahmen, in dem Kerzen brennen. Bis jetzt haben die Kerzen noch immer gebrannt, so oft ich dort war. - Ist das die Skulptur, die wir hier als Modell sehen? - Ja, sie steht dort in der Ecke.
Der nächste Auftrag, ebenfalls in Bad Neustadt, war weitaus problematischer: einem ziemlich barocken Gebäude, einer Klinik, war eine moderne Empfangshalle ganz aus Glas angebaut worden. Das ist von außen gesehen akzeptabel, jedoch die innere Verbindung zwischen den beiden Gebäuden, dem alten und dem neuen, war nicht gut gelöst. Der neue Teil stieß mit einer 4 1/2 x 8 m großen leeren Wandfläche an den alten. Das wirkte unorganisch, die beiden Teile bildeten keine Einheit. Ich löste das Problem, indem ich diese Wand mit einem 4 1/2 x 7 m großen Spiegel verkleidete, in dem sich die neue Architektur wiederholt, und an den Punkt, an dem die beiden zusammentreffen, platzierte ich eine Gruppe von drei Figuren, das "Ankleiden der Braut". Sie schwebt über dem Eingang, der in den Schlossgarten hinausführt.
Auch diese Figurengruppe scheint bis heute allgemein beliebt zu sein. Während meines Aufenthalts dort wurde sie mehrfach fotografiert, und ich besuche sie von Zeit zu Zeit und kann mich davon überzeugen, dass sie gut behandelt wird. Innerhalb der Spiegelwand ist ein zweiter Spiegel eingebaut - das ist eine Spielerei -, in dem man die Akt-Figur der Braut von vorne sieht, und dieser zweite Spiegel hat einen Rahmen, in dem Kerzen brennen. Bis jetzt haben die Kerzen noch immer gebrannt, so oft ich dort war. - Ist das die Skulptur, die wir hier als Modell sehen? - Ja, sie steht dort in der Ecke.
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Neuere Arbeiten in Deutschland - II
Mit Bad Kissingen verband mich ursprünglich und in erster Linie eine persönliche Freundschaft mit dem Kunsthändler Bernd Müller, auf dessen Einladung ich irgendwann um 1984/85 eine Ausstellung machte. Die Stadt gefiel und gefällt mir auch heute noch sehr gut. Ihre Gebäude sind nicht nur Jahrhunderte alt, sie sind auch noch in ausgezeichnetem Zustand.
Als Kurzentrum verfügt die Stadt über zwei Quellen. Von den Namen dieser beiden Quellen - die eine heißt Rákóczi, die andere Pandur - weiß niemand, woher sie stammen. In der ungarischen Sprache ist Pandur ein Gendarm. Dieser Pandur hatte die Aufgabe, Aufrührer und Übeltäter zu fangen; er lag in ständigem Kampf mit den Spitzbuben. In Kenntnis dessen kann ich nur annehmen, dass die Namensgebung der beiden Quellen von jemandem stammt, der irgendwelche Beziehungen zu Ungarn haben musste. Schließlich führt auch der Eigentümer eines benachbarten Besitztums bis zum heutigen Tag seine unmittelbare Abstammung auf Vorfahren aus dem ungarischen Adel zurück. Man könnte annehmen, dass die beiden Quellen ihren Namen dem Naturphänomen verdanken, dass die eine Quelle langsam versiegt, wenn die andere überreichlich Wasser spendet, und umgekehrt. Dieses Pulsieren des Wasserflusses erinnert an einen Flüchtenden und seinen Verfolger: Immer, wenn der Flüchtende gerade zum Luft schnappen gekommen ist, taucht der Verfolger wieder auf, und umgekehrt. Soviel zur Namensgebung.
Eines Tages rief mich der Bürgermeister von Bad Kissingen an und sagte, er würde mir gern ein Denkmal in Auftrag geben. Ich fragte, ob es ein Rákóczi-Denkmal sein dürfe, und er meinte, ja, aber wer denn dieser Rákóczi sei? Nun, das musste ich herausfinden. Selbstverständlich dachte ich an Franz Rákóczi II., den Fürsten Rákóczi des Freiheitskampfes, der aus der Familie des Erlauer Burghauptmanns Rákóczi stammte und dessen Mutter ebenso wie sein Vater in der ungarischen Geschichte eine Rolle gespielt hatte. Georg Rákóczi, der Vater, hatte an der Frangepán-Verschwörung teilgenommen und wurde deshalb dazu verurteilt, Teile seines Besitzes abzutreten. Seine Frau war Ilona Zrinyi, die lange Zeit in der Burg von Munkács der Belagerung Widerstand leisten konnte. Ihre Ländereien lagen in der Umgebung von Eperjes und Munkács. Als sie sich schließlich ergab, wurden ihr die Kinder weggenommen und am österreichischen Kaiserhof erzogen. Trotz dieser Erziehung stellte sich Franz Rákóczi II. später an die Spitze eines Volksaufstands, eines Freiheitskampfes, der dann von den Habsburgern niedergeschlagen wurde. Rákóczi selbst emigrierte zuerst nach Frankreich, dann in die Türkei. Diesen Rákóczi also brachte ich nach Bad Kissingen, wo er in Wirklichkeit nie gewesen war. Dort sitzt er nun bis heute, auf dem Hauptplatz des Kurortes Kissingen. Ich glaube, er erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Vor kurzem, als ich dort war und das Denkmal zu fotografieren versuchte, kam ein Herr etwa meines Alters zu mir her und sagte, "hübsch, was?". - Ich sagte, "jaja". Er meinte, "naja, sowas gibts in Deutschland nicht mehr, das haben wir auch im Ausland gekauft". Kurz, die Kissinger betrachten Rákóczi nun schon als einen der Ihren.
Als Kurzentrum verfügt die Stadt über zwei Quellen. Von den Namen dieser beiden Quellen - die eine heißt Rákóczi, die andere Pandur - weiß niemand, woher sie stammen. In der ungarischen Sprache ist Pandur ein Gendarm. Dieser Pandur hatte die Aufgabe, Aufrührer und Übeltäter zu fangen; er lag in ständigem Kampf mit den Spitzbuben. In Kenntnis dessen kann ich nur annehmen, dass die Namensgebung der beiden Quellen von jemandem stammt, der irgendwelche Beziehungen zu Ungarn haben musste. Schließlich führt auch der Eigentümer eines benachbarten Besitztums bis zum heutigen Tag seine unmittelbare Abstammung auf Vorfahren aus dem ungarischen Adel zurück. Man könnte annehmen, dass die beiden Quellen ihren Namen dem Naturphänomen verdanken, dass die eine Quelle langsam versiegt, wenn die andere überreichlich Wasser spendet, und umgekehrt. Dieses Pulsieren des Wasserflusses erinnert an einen Flüchtenden und seinen Verfolger: Immer, wenn der Flüchtende gerade zum Luft schnappen gekommen ist, taucht der Verfolger wieder auf, und umgekehrt. Soviel zur Namensgebung.
Eines Tages rief mich der Bürgermeister von Bad Kissingen an und sagte, er würde mir gern ein Denkmal in Auftrag geben. Ich fragte, ob es ein Rákóczi-Denkmal sein dürfe, und er meinte, ja, aber wer denn dieser Rákóczi sei? Nun, das musste ich herausfinden. Selbstverständlich dachte ich an Franz Rákóczi II., den Fürsten Rákóczi des Freiheitskampfes, der aus der Familie des Erlauer Burghauptmanns Rákóczi stammte und dessen Mutter ebenso wie sein Vater in der ungarischen Geschichte eine Rolle gespielt hatte. Georg Rákóczi, der Vater, hatte an der Frangepán-Verschwörung teilgenommen und wurde deshalb dazu verurteilt, Teile seines Besitzes abzutreten. Seine Frau war Ilona Zrinyi, die lange Zeit in der Burg von Munkács der Belagerung Widerstand leisten konnte. Ihre Ländereien lagen in der Umgebung von Eperjes und Munkács. Als sie sich schließlich ergab, wurden ihr die Kinder weggenommen und am österreichischen Kaiserhof erzogen. Trotz dieser Erziehung stellte sich Franz Rákóczi II. später an die Spitze eines Volksaufstands, eines Freiheitskampfes, der dann von den Habsburgern niedergeschlagen wurde. Rákóczi selbst emigrierte zuerst nach Frankreich, dann in die Türkei. Diesen Rákóczi also brachte ich nach Bad Kissingen, wo er in Wirklichkeit nie gewesen war. Dort sitzt er nun bis heute, auf dem Hauptplatz des Kurortes Kissingen. Ich glaube, er erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Vor kurzem, als ich dort war und das Denkmal zu fotografieren versuchte, kam ein Herr etwa meines Alters zu mir her und sagte, "hübsch, was?". - Ich sagte, "jaja". Er meinte, "naja, sowas gibts in Deutschland nicht mehr, das haben wir auch im Ausland gekauft". Kurz, die Kissinger betrachten Rákóczi nun schon als einen der Ihren.
Neuere Arbeiten in Deutschland - I
Zuletzt würde ich Sie gern noch nach den Werken fragen, die sich außerhalb Ungarns - wohl überwiegend in Deutschland - befinden, wie z.B. der St. Stephan in Aachen. Ist dieser St. Stephan der gleiche wie der in Rom?
Natürlich ist es nicht derselbe Sankt Stephan, ist doch die Situation eine andere. Ich habe das ursprüngliche Konzept einfach deshalb verwendet, weil der Aachener Domprobst, beziehungsweise das Domkapitel es so wollte. Sie wollten auf Nummer Sicher gehen und scheuten das mit einem unerprobten Werk verbundene Risiko. Deshalb baten sie mich, die gleiche Sankt-Stephans-Figur wie im Petersdom in Rom auch neben dem Dom zu Aachen aufzustellen.
Ich fertigte für Aachen eine gründlich überarbeitete Version, die sich in erster Linie durch den Krönungsmantel von der ersten unterscheidet. Den Krönungsmantel habe ich geschweißt, also ebenfalls sehr kompliziert und noch reicher gestaltet als den römischen. Mein römischer Sankt Stephan steht nämlich vor einem fast 40 qm großen vergoldeten Relief, und die Relationen sind völlig anders. Dort kommt das Gold auf der Wand und auf dem Mantel der Jungfrau Maria zur Geltung, deshalb war es nicht notwendig, ja sogar überflüssig, es auch wieder auf dem Krönungsmantel anzubringen. In Aachen jedoch steht dieses Standbild für sich allein, so dass ich mit dem Mantel all das zum Ausdruck bringen musste, was ich in der römischen Kapelle mit der gesamten Komposition sagte.
Man muss wissen, dass mein Sankt Stephan in Rom zugleich mit der Krone, die er darbringt, auch auf die Kulturschätze hinweisen will, die wir Ungarn auf unserer langen Wanderschaft mitgebracht hatten. Der ungarischen Sage zufolge sind ja Hunor und Magor - die beiden Namen deuten auf die doppelte Abstammung hin, an die man wider besseres Wissen glaubt: Hunor auf die hunnische, Magor auf die madjarische Abstammung - bei der Jagd auf den Wunderhirsch in das Karpatenbecken gelangt. Die goldenen Hirsche haben jedoch einen historischen Bezug. Man hat nämlich in Gräbern an drei Orten 15-20 cm große Figuren von goldenen Hirschen gefunden, die als Wahrzeichen der Stammesfürsten auf deren Schilden angebracht und nach ihrem Tod mit diesen zusammen begraben wurden. Diese Hirsche sind auf dem Relief in Rom dargestellt, aber nicht in Aachen. Deshalb also wollte ich die Aachener Figur durch die Vergoldung dieser Motive der römischen ähnlich machen.
In Aachen gab - und gibt es meines Wissens noch immer - ein anderes, technisches Problem: Durch das Gebiet, auf dem das Denkmal steht, führt die Hauptleitung einer Kanalisation, und unter der Erde befinden sich Ruinen aus der Römerzeit. Es sind also wahrscheinlich irgendwann noch Ausgrabungsarbeiten zu erwarten. Deshalb konnten wir das Denkmal noch nicht endgültig aufstellen, noch nicht fest betonieren.
Der Anlass für den Auftrag zu diesem Denkmal war die traditionelle ungarische Wallfahrt nach Aachen, die auf die Zeit des ungarischen Königs Ludwig des Großen zurückgeht und deren Erneuerung man bei den Feierlichkeiten zum Todestag des Heiligen Stephan, nach meiner Erinnerung so um das Jahr 87/88, plante, als die deutsch-ungarischen Beziehungen sich zu intensivieren begannen. Eine der Kapellen des Aachener Doms, die ungarische Kapelle, hat Ludwig der Große erbaut. Später, während des Dreißigjährigen Krieges, brannte sie ab. Für ihre Schatzkammer hatte Ludwig der Große Reliquien gestiftet: Reliquien des Heiligen Stephan, des Heiligen Ladislaus und des Heiligen Emmerich aus dem Hause der ungarischen Könige. Die Reliquienschreine gehören zu den seltenen Exemplaren, die im 13. Jahrhundert oder noch früher von den Kunstschmieden mit dem Wappen des Arpadenhauses geschmückt wurden. Die Beziehungen zwischen Aachen und Ungarn waren also schon immer sehr eng gewesen.
Natürlich ist es nicht derselbe Sankt Stephan, ist doch die Situation eine andere. Ich habe das ursprüngliche Konzept einfach deshalb verwendet, weil der Aachener Domprobst, beziehungsweise das Domkapitel es so wollte. Sie wollten auf Nummer Sicher gehen und scheuten das mit einem unerprobten Werk verbundene Risiko. Deshalb baten sie mich, die gleiche Sankt-Stephans-Figur wie im Petersdom in Rom auch neben dem Dom zu Aachen aufzustellen.
Ich fertigte für Aachen eine gründlich überarbeitete Version, die sich in erster Linie durch den Krönungsmantel von der ersten unterscheidet. Den Krönungsmantel habe ich geschweißt, also ebenfalls sehr kompliziert und noch reicher gestaltet als den römischen. Mein römischer Sankt Stephan steht nämlich vor einem fast 40 qm großen vergoldeten Relief, und die Relationen sind völlig anders. Dort kommt das Gold auf der Wand und auf dem Mantel der Jungfrau Maria zur Geltung, deshalb war es nicht notwendig, ja sogar überflüssig, es auch wieder auf dem Krönungsmantel anzubringen. In Aachen jedoch steht dieses Standbild für sich allein, so dass ich mit dem Mantel all das zum Ausdruck bringen musste, was ich in der römischen Kapelle mit der gesamten Komposition sagte.
Man muss wissen, dass mein Sankt Stephan in Rom zugleich mit der Krone, die er darbringt, auch auf die Kulturschätze hinweisen will, die wir Ungarn auf unserer langen Wanderschaft mitgebracht hatten. Der ungarischen Sage zufolge sind ja Hunor und Magor - die beiden Namen deuten auf die doppelte Abstammung hin, an die man wider besseres Wissen glaubt: Hunor auf die hunnische, Magor auf die madjarische Abstammung - bei der Jagd auf den Wunderhirsch in das Karpatenbecken gelangt. Die goldenen Hirsche haben jedoch einen historischen Bezug. Man hat nämlich in Gräbern an drei Orten 15-20 cm große Figuren von goldenen Hirschen gefunden, die als Wahrzeichen der Stammesfürsten auf deren Schilden angebracht und nach ihrem Tod mit diesen zusammen begraben wurden. Diese Hirsche sind auf dem Relief in Rom dargestellt, aber nicht in Aachen. Deshalb also wollte ich die Aachener Figur durch die Vergoldung dieser Motive der römischen ähnlich machen.
In Aachen gab - und gibt es meines Wissens noch immer - ein anderes, technisches Problem: Durch das Gebiet, auf dem das Denkmal steht, führt die Hauptleitung einer Kanalisation, und unter der Erde befinden sich Ruinen aus der Römerzeit. Es sind also wahrscheinlich irgendwann noch Ausgrabungsarbeiten zu erwarten. Deshalb konnten wir das Denkmal noch nicht endgültig aufstellen, noch nicht fest betonieren.
Der Anlass für den Auftrag zu diesem Denkmal war die traditionelle ungarische Wallfahrt nach Aachen, die auf die Zeit des ungarischen Königs Ludwig des Großen zurückgeht und deren Erneuerung man bei den Feierlichkeiten zum Todestag des Heiligen Stephan, nach meiner Erinnerung so um das Jahr 87/88, plante, als die deutsch-ungarischen Beziehungen sich zu intensivieren begannen. Eine der Kapellen des Aachener Doms, die ungarische Kapelle, hat Ludwig der Große erbaut. Später, während des Dreißigjährigen Krieges, brannte sie ab. Für ihre Schatzkammer hatte Ludwig der Große Reliquien gestiftet: Reliquien des Heiligen Stephan, des Heiligen Ladislaus und des Heiligen Emmerich aus dem Hause der ungarischen Könige. Die Reliquienschreine gehören zu den seltenen Exemplaren, die im 13. Jahrhundert oder noch früher von den Kunstschmieden mit dem Wappen des Arpadenhauses geschmückt wurden. Die Beziehungen zwischen Aachen und Ungarn waren also schon immer sehr eng gewesen.
Porträts - VIII
Diese Geschichte war also dem Porträt vorausgegangen, das ich später von Kádár gemacht habe. Wir waren dabei stehen geblieben, dass ich György Aczél das Porträt übergab. Ich durfte kein zweites Exemplar davon gießen lassen, durfte das Gipsmodell nicht behalten, mit einem Wort: es war für das interne Protokoll bestimmt. Nun, ich halte diese Skulptur ebenso für eine künstlerische Leistung wie meine anderen.
Es gibt ein herrliches Porträt eines Römers, von dem wir wissen, dass er ein Wucherer war, in der Nähe von Venedig lebte und Caecilius Iucundus hieß. Seinen Namen kennen wir von der Inschrift der Skulptur. Iucundus, das bedeutet eigentlich "der Scherzende, der Fröhliche". In gewissem Sinn jedoch deutet es auch auf Homosexualität hin, wie das Wort "gay" im Englischen. Nach seinem Porträt zu schließen, war dieser Caecilius Iucundus so ein 150-Kilo-Mensch, unglaublich beleibt, mit einem dreifachen Kinn und einer mächtigen Warze darunter. Trotzdem ist sein Bildnis das schönste römische Porträt, das ich jemals gesehen habe.
Als ich mit der Arbeit an Kádárs Porträt begann, suchte ich den gebrochenen alten Mann in ihm aufzuspüren, in den Augenblicken des Scheiterns, der Aussichtslosigkeit in seinem Konflikt mit sich selbst. Aus diesem Grund war seiner Frau das Porträt nicht sympathisch. Meiner Ansicht nach war das, was ich machte, auch im historischen Sinn authentisch, weshalb ich mich ruhig dazu bekannte und natürlich auch weiterhin bekennen werde. Wenn ich das Porträt von Caecilius Iucundus gemacht hätte, Herrgott, wie würde ich mich freuen!
Das war also das Porträt, das auf natürliche Art - genauso wie der erwähnte Tautropfen auf den Blütenblättern der Seerose - eine Art Linse ist, in der die Kunstrichtungen in der Zeit zusammenlaufen, für eine Weile divergieren und später dann erneut konvergent werden. Hierin nämlich hat eigentlich alles seinen Platz. Wann diese Konvergenz eintreten wird, weiß ich nicht: wohl kaum, solange ich lebe, denn vorläufig sind die einzelnen divergenten Tendenzen noch zu virulent. Aber wenn große Reiche entstehen: diese großen Reiche bringen immer konstruktive Kunst mit sich. Und in gewissem Sinn war die konstruktive Kunst auch immer die Kunst der großen Diktaturen. Ich wünsche mir nicht, dass im Laufe meines Lebens noch einmal eine solche konstruktive Kunst entsteht. Wir hatten genug davon.
Es gibt ein herrliches Porträt eines Römers, von dem wir wissen, dass er ein Wucherer war, in der Nähe von Venedig lebte und Caecilius Iucundus hieß. Seinen Namen kennen wir von der Inschrift der Skulptur. Iucundus, das bedeutet eigentlich "der Scherzende, der Fröhliche". In gewissem Sinn jedoch deutet es auch auf Homosexualität hin, wie das Wort "gay" im Englischen. Nach seinem Porträt zu schließen, war dieser Caecilius Iucundus so ein 150-Kilo-Mensch, unglaublich beleibt, mit einem dreifachen Kinn und einer mächtigen Warze darunter. Trotzdem ist sein Bildnis das schönste römische Porträt, das ich jemals gesehen habe.
Als ich mit der Arbeit an Kádárs Porträt begann, suchte ich den gebrochenen alten Mann in ihm aufzuspüren, in den Augenblicken des Scheiterns, der Aussichtslosigkeit in seinem Konflikt mit sich selbst. Aus diesem Grund war seiner Frau das Porträt nicht sympathisch. Meiner Ansicht nach war das, was ich machte, auch im historischen Sinn authentisch, weshalb ich mich ruhig dazu bekannte und natürlich auch weiterhin bekennen werde. Wenn ich das Porträt von Caecilius Iucundus gemacht hätte, Herrgott, wie würde ich mich freuen!
Das war also das Porträt, das auf natürliche Art - genauso wie der erwähnte Tautropfen auf den Blütenblättern der Seerose - eine Art Linse ist, in der die Kunstrichtungen in der Zeit zusammenlaufen, für eine Weile divergieren und später dann erneut konvergent werden. Hierin nämlich hat eigentlich alles seinen Platz. Wann diese Konvergenz eintreten wird, weiß ich nicht: wohl kaum, solange ich lebe, denn vorläufig sind die einzelnen divergenten Tendenzen noch zu virulent. Aber wenn große Reiche entstehen: diese großen Reiche bringen immer konstruktive Kunst mit sich. Und in gewissem Sinn war die konstruktive Kunst auch immer die Kunst der großen Diktaturen. Ich wünsche mir nicht, dass im Laufe meines Lebens noch einmal eine solche konstruktive Kunst entsteht. Wir hatten genug davon.
Porträts - VII
Ich wußte das alles und habe ihn mit Attributen versehen, die ich für treffend hielt. So habe ich ihn unter einen entzweigebrochenen Gewölbebogen gestellt, um anzudeuten, dass mit ihm gewissermaßen die lange Linie einer Familie zu Ende ging. Unter diesem großen, abgebrochenen gotischen Bogen steht ein Mensch, der mit der Welt entzweit ist.
"Katinka" beanstandete alles an dieser Skulptur. Sie beanstandete sein Einstecktuch, sie beanstandete das aus seiner Brusttasche hängende Monokel. "Mein Mann hat niemals ein Einstecktuch getragen, das war ja immer schon lächerlich", sagte sie, und "ein Monokel hatte er nicht deshalb, weil er ein Graf war, sondern weil er schlecht sah und eine Brille brauchte".
György Aczél, stets darauf bedacht, einen Kompromiss zu finden, kam auf mich zu und sagte, "nun gut, lassen Sie das Einstecktuch dran und nehmen Sie das Monokel weg". Ich sagte also der Gräfin, dass ich das Monokel entfernen würde, aber sobald ich ihre "partée"-Anzeige erhielte, würde ich es sogleich wieder anbringen. ...
Unsere damalige Beziehung könnte ich nicht gerade als gut bezeichnen. Als ich das Denkmal aufgestellt hatte und bereits ein internationales Echo darauf erfolgt war, erschien eines Tages die rosarote Katinka bei mir und sagte, "na wissen Sie, eigentlich hatten Sie ja recht - auf Fotos ist Mihály tatsächlich mit einem Einstecktuch zu sehen. Und man sagt, dies sei eines der schönsten Denkmäler in Europa, nun, sei's drum, ich danke Ihnen."
Porträts - VI
Für mich war es nie erforderlich, dass jemand mir bei der Arbeit Modell stand, denn ich erzähle in einem solchen Porträt ja nur, was mir selbst an jemandem besonders auffällt. Und außerdem finde ich, dass es einem Porträt mehr schadet als nutzt, wenn man sich so schulmäßig, so peinlich genau an das Original, an das Vorbild hält. Freilich birgt diese freiere Auffassung ein enormes Risiko. Denn die Menschen haben ein anderes Bild von sich, wie sie selbst sich sehen möchten. So war es - das ist vielleicht interessant - bei dem Kádár-Porträt. Ich hatte Kádár mehrmals getroffen, bei Versammlungen verschiedener Institutionen und so weiter. Ich hatte Gelegenheit, sein Mienenspiel zu beobachten, wenn ich auch freilich nicht zu intimeren Kenntnissen kam, wie ich sie für ein Porträt gebraucht hätte. Was sich in meiner Vorstellung herauskristallisierte, das ergab sich eher aus dem Bild seiner Rolle im öffentlichen Leben. Nun, als ich von György Aczél den Auftrag bekam, zu irgendeinem Geburtstag Kádárs eine Büste von ihm zu machen, bat ich um einige Fotos, damit ich ans Werk gehen konnte. Als dann das Porträt fertig war, hat Kádárs Frau als erste dagegen protestiert.
Ich muss aber gleich noch auf einen anderen Fall zurückkommen, und zwar zu dem aus ähnlichem Anlass gefertigten Porträt Mihály Károlyis. Als ich schon damit fertig war, trommelte Károlyis Witwe, Katinka Andrássy, die halbe Regierung in meiner Werkstatt zusammen. Dort standen sie nebeneinander, unter Aczéls Führung, und Katinka Andrássy hielt eine Rede, wonach "mein Gatte nicht so war". - Na, dass ihr Mann doch so war, das steht außer Zweifel, aber in ihren Augen war er eben nicht so. Sie sagte, ihr Gatte sei jung, tatkräftig und phantastisch vital gewesen. In meinem Bewusstsein aber lebte jener Mihály Károlyi, der aus den Bildern meiner Erinnerung, den Erzählungen meiner Eltern zusammenfügt war. Károlyi war schwindsüchtig, er hatte tabes dorsalis, und deswegen konnte er nicht richtig gehen. Er hatte einen Geburtsfehler, war mit offenem Gaumen geboren worden und konnte deshalb nicht richtig sprechen - in der Familie meines Vaters erzählte man sich, dass, als er einmal in Kaposvár eine Rede halten sollte, das halbe Komitat zusammengeströmt sei, um den "belfernden Grafen" zu hören.
Ich muss aber gleich noch auf einen anderen Fall zurückkommen, und zwar zu dem aus ähnlichem Anlass gefertigten Porträt Mihály Károlyis. Als ich schon damit fertig war, trommelte Károlyis Witwe, Katinka Andrássy, die halbe Regierung in meiner Werkstatt zusammen. Dort standen sie nebeneinander, unter Aczéls Führung, und Katinka Andrássy hielt eine Rede, wonach "mein Gatte nicht so war". - Na, dass ihr Mann doch so war, das steht außer Zweifel, aber in ihren Augen war er eben nicht so. Sie sagte, ihr Gatte sei jung, tatkräftig und phantastisch vital gewesen. In meinem Bewusstsein aber lebte jener Mihály Károlyi, der aus den Bildern meiner Erinnerung, den Erzählungen meiner Eltern zusammenfügt war. Károlyi war schwindsüchtig, er hatte tabes dorsalis, und deswegen konnte er nicht richtig gehen. Er hatte einen Geburtsfehler, war mit offenem Gaumen geboren worden und konnte deshalb nicht richtig sprechen - in der Familie meines Vaters erzählte man sich, dass, als er einmal in Kaposvár eine Rede halten sollte, das halbe Komitat zusammengeströmt sei, um den "belfernden Grafen" zu hören.
Porträts - V
Das Charakteristische eines Porträts kann eventuell in drei charakteristischen Punkten erfasst werden, dem kultischen Anspruch genügt das jedoch nicht. Deshalb also hat sich auch die römische Porträtkunst von derjenigen, die sich in allen anderen Gegenden der Welt entfaltet hat, stets grundlegend unterschieden: die naturalistische Identifikation war dort nicht die Erfüllung irgendeines natürlichen, sondern Teil eines kultischen Bedürfnisses. Am liebsten hätte man abgehauene Köpfe gezeigt.
Meine Auffassung des Porträts entsprach also nicht der des römischen Porträts, sondern ich war bestrebt, mich eher auf die charakteristischen Züge zu beschränken. Das bedeutet nicht, dass sie in einem Profil sichtbar werden müssen, es kommt auch vor, dass meinetwegen die Haarfülle charakteristisch ist. Ein Beispiel dafür ist das Porträt der Ehefrau eines Freundes, das sich hier befindet. Die Dame hat es nicht gern gesehen, im Gegenteil, sie empörte sich darüber: ich wollte nämlich in dem Porträt Charakteristika ihrer Persönlichkeit andeuten, wie beispielsweise ihre Verschlossenheit gegenüber Menschen. Um hierauf hinzuweisen, habe ich mich bemüht, ihr den Charakter einer ägyptischen Porträt-Skulptur zu verleihen. Zum Beispiel das Porträt Nofretetes oder das 80 cm große Figürchen der Herzogin im Louvre. Also, diese sehr auf Distanz bedachte Strenge ist auch bei ihr vorhanden, und sie hat das auch gespürt, aber sie dachte, es entspreche nicht ihrem Wesen, obschon es sehr wohl so war. Das stellte sich später auch bei der Reaktion von Besuchern heraus. Nun, auch das ist ein Porträt.
Porträts - IV
Hier ist das Porträt von Zsigmond Móricz....
Das Porträtieren, das heißt die Personifizierung, ist der bildenden Kunst ebenso wenig fremd wie die Metamorphose, dass also ein Stück Bronze die Züge eines Menschen annimmt. Dass wir ein Stück Bronze also nicht weiterhin nur als eine Bronzeplatte vor uns haben, sondern als Kopie, als Ebenbild eines Helden, eines Arbeiters, eines Soldaten oder eines Professors.
Wie viele Merkmale an jemanden erinnern, das ist fast bedeutungslos. Wenn drei charakteristische Punkte dazu genügen, braucht man auch nicht weiter zu gehen. Ein Porträt muss nicht unbedingt wie der Abdruck eines Gesichts, wie eine Fotografie mit dem Original übereinstimmen. Man darf von einer Person nur so viel in einem Porträt zeigen, wie nach unserer Überzeugung für sie charakteristisch ist. Es zeugt schon von Talentlosigkeit, wenn jemand ein Porträt bis in alle Einzelheiten ausarbeitet, nur weil er weiß, dass sie der Person eigen sind. Noch nie habe ich das Bildnis eines Menschen deshalb bewundert, weil alles authentisch an ihm dran war, aber ich habe mehr als einmal ein Porträt bewundert, wenn es drei charakteristische Merkmale oder auch nur ein einziges aufwies.
Die originalgetreue Nachbildung des menschlichen Antlitzes, die bis in jede kleinste Hautfalte geht, war in der römischen Kunst üblich. In der römischen Antike gab es gewisse Prozessionen, auf denen Totenmasken mitgetragen wurden, welche die Vorfahren der Teilnehmer symbolisierten. Der Brauch der Totenmasken ging bereits auf die Griechen, bzw. noch früher auf die mykenische Ära Kretas zurück; von daher kennen wir eine ganze Anzahl solcher goldenen Totenmasken. Die Sitte, diese Masken in Prozessionen mitzutragen, verbürgte die Anwesenheit der Vorfahren. Einem hochrangigen Römer trugen also seine Sklaven die Masken von mindestens vier bis fünf Generationen hinterher. Später dann nahmen solche Masken die Form von individuellen Porträts der Verstorbenen an, da man nicht mehr nur eine symbolische Totenmaske, sondern den Charakter des Verstorbenen zum Ausdruck bringen wollte und dabei jeden einzelnen Gesichtszug für bedeutsam hielt. Deshalb entspricht die in die feinsten Einzelheiten, bis in die widerlichsten Runzeln gehende Authentizität des römischen Porträts einem kultischen Anspruch.
Das Porträtieren, das heißt die Personifizierung, ist der bildenden Kunst ebenso wenig fremd wie die Metamorphose, dass also ein Stück Bronze die Züge eines Menschen annimmt. Dass wir ein Stück Bronze also nicht weiterhin nur als eine Bronzeplatte vor uns haben, sondern als Kopie, als Ebenbild eines Helden, eines Arbeiters, eines Soldaten oder eines Professors.
Wie viele Merkmale an jemanden erinnern, das ist fast bedeutungslos. Wenn drei charakteristische Punkte dazu genügen, braucht man auch nicht weiter zu gehen. Ein Porträt muss nicht unbedingt wie der Abdruck eines Gesichts, wie eine Fotografie mit dem Original übereinstimmen. Man darf von einer Person nur so viel in einem Porträt zeigen, wie nach unserer Überzeugung für sie charakteristisch ist. Es zeugt schon von Talentlosigkeit, wenn jemand ein Porträt bis in alle Einzelheiten ausarbeitet, nur weil er weiß, dass sie der Person eigen sind. Noch nie habe ich das Bildnis eines Menschen deshalb bewundert, weil alles authentisch an ihm dran war, aber ich habe mehr als einmal ein Porträt bewundert, wenn es drei charakteristische Merkmale oder auch nur ein einziges aufwies.
Die originalgetreue Nachbildung des menschlichen Antlitzes, die bis in jede kleinste Hautfalte geht, war in der römischen Kunst üblich. In der römischen Antike gab es gewisse Prozessionen, auf denen Totenmasken mitgetragen wurden, welche die Vorfahren der Teilnehmer symbolisierten. Der Brauch der Totenmasken ging bereits auf die Griechen, bzw. noch früher auf die mykenische Ära Kretas zurück; von daher kennen wir eine ganze Anzahl solcher goldenen Totenmasken. Die Sitte, diese Masken in Prozessionen mitzutragen, verbürgte die Anwesenheit der Vorfahren. Einem hochrangigen Römer trugen also seine Sklaven die Masken von mindestens vier bis fünf Generationen hinterher. Später dann nahmen solche Masken die Form von individuellen Porträts der Verstorbenen an, da man nicht mehr nur eine symbolische Totenmaske, sondern den Charakter des Verstorbenen zum Ausdruck bringen wollte und dabei jeden einzelnen Gesichtszug für bedeutsam hielt. Deshalb entspricht die in die feinsten Einzelheiten, bis in die widerlichsten Runzeln gehende Authentizität des römischen Porträts einem kultischen Anspruch.
Porträts - III
Ebenso hatte ich, wenn auch nicht mit der Absicht des Porträtierens, Béla Bartók gesehen. So hatte ich István Szönyi gesehen - auch ihn wollte ich damals noch nicht porträtieren - und Lajos Hatvany, später dann Kádár und György Aczél, unter den Politiker-Porträts. - Und Imre Nagy? - Imre Nagy habe ich einmal im Jahr 56 gesehen, als er im Parlament auftrat, aber das heißt nicht, dass ich ihn persönlich gekannt hätte.
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Porträts - II
Auch Derkovits kannte ich zum Beispiel nicht persönlich. Sein Porträt stammt aus meinen frühesten Jahren. Es hatte keinen Erfolg.
Ich glaube, ein Porträt nach der Wirklichkeit, das die lebendige Person zum Objekt hatte, habe ich erst irgendwann gegen Ende der 70er Jahre gemacht, von Béla Czóbel. Unter den Modellen meiner Porträts gab es vielleicht vier bis fünf Menschen, die ich überhaupt persönlich gekannt habe; Béla Czóbel war einer davon.
Porträts - I
Sie sprachen beim letzten Mal über die Abstraktion, die Verallgemeinerung, die Kodierung - handelt es sich beim Porträt um eine andere Form der gleichen Grundsätze oder um ihr Gegenteil?
Aus dem bei unserem letzten Gespräch Gesagten geht eigentlich schon hervor, dass ich diese gewisse, im Impressionismus erreichte subjektive Art der Annäherung, der Annäherung an das Ewige, gewählt habe. Deshalb spielt das Porträt eine sehr bedeutende Rolle für mich - sei es das "Porträt" eines Augenblicks in der Natur, sei es das Abbild eines Gesichts; einer so relativ kleinen, kurz bemessenen Ewigkeit, wie es ein Menschenleben ist.
Meine allerersten Porträts habe ich gemacht, ohne die betreffende Person je gesehen zu haben. Beispielsweise Radnóti, aber auch später, wie z.B. unter den politischen Porträts das von Mihály Károlyi, oder von meinen früheren Arbeiten, das Porträt des Professors.
À la recherche - VI
Ich brachte die Skulpturen nach Hause, aber auch hier wollte sie niemand haben. Dann bot ich dem Ratsvorsitzenden des III. Bezirks an, sie auf diesem kleinen Platz dort in der Ecke aufzustellen. Er sagte, ich könne sie aufbauen, solle sie aber nicht fest betonieren, damit man sie auch wieder entfernen könne. Aber dann blieben sie doch, und nach einer Weile hieß es, nun könnte ich sie schon zementieren lassen. Dann wurde ich mit einer wirklich bescheidenen Summe abgefunden, die vielleicht einen Teil der Gusskosten deckte. Von Zeit zu Zeit wird einer der Schirme abgebrochen, dann repariere ich ihn, und nach und nach fügt sich das Ganze ins Bild von Óbuda ein.
Es gibt eine kritische Phase - wenn ein Denkmal in dieser Zeit nicht abgerissen wird, überlebt es. Das genau ist es, wovon ich vorhin sprach: das erste Bild erscheint auf einem Schleier, es wird dann verstärkt durch einen weiteren, und noch einen, und noch einen, und wenn schon genügend Bilder übereinander liegen, wirft man es nicht mehr weg. Das Tragische an diesen Figuren wird jedoch nicht wahrgenommen, man fühlt nur, dass sie tatsächlich so sind. Die Tragik der Figuren zu sehen, ist jedoch keine Bedingung, man kann sie auch so betrachten, mich aber hat sie bewegt.
À la recherche - V
Nun sollten wir vielleicht konkreter werden. Die vier Mädchen mit dem Regenschirm haben eine eigene Geschichte: Als in Paris der damalige Bürgermeister Jacques Chirac meine Bartók-Plastik einweihte, beging er die Leichtfertigkeit, mich für eine Ausstellung einzuladen. Ich nahm die Einladung ernst, auch die mit mir befreundeten Diplomaten nahmen sie ernst, und schließlich machte ich eine Ausstellung in Paris. Ich machte diese vier Frauen mit den Regenschirmen für die Ausstellung und außerdem als Geste zu Ehren Gyula Krúdys, des "ungarischen Proust", der hier in Óbuda lebte. In seiner wunderbaren Prosa hat Krúdy sehr einfühlsam Schicksale von Frauen niedergeschrieben. Seine Frauengestalten sind manchmal Prostituierte, manchmal nur von ihrer Familie Verstoßene, aber Krúdy hat immer ihr vollständiges Schicksal, nie ein oberflächliches Bild von ihnen gezeichnet. Ihm zu Ehren habe ich diese vier verschiedenen Frauenfiguren gemacht, die unterschiedlich sind in ihrer Gestalt, in ihrer Gedankenwelt, von denen jede, mit der Tasche unterm Arm, irgendwo unter einer Laterne an einer Straßenecke steht, der Lust der Männer ausgeliefert.
Alle sind ja ausgeliefert, auch eine Familienmutter, auch innerhalb des geheiligten Ehebunds, wo sie bis zuletzt in genau dieser Knechtschaft lebt, in der Knechtschaft des eigenen Geschlechts. Nun, daran dachte ich, als ich diese Skulpturen entwarf. Ich ließ sie auch gießen, aber niemand wollte sie haben. Bei der Ausstellung in Paris hatten sie ein sehr positives Echo, aber die gedanklichen Zusammenhänge wurden eigentlich nicht verstanden, denn die Menschen reagieren spontan und unmittelbar beim Anblick einer Skulptur und bedenken nicht, dass sie genau so etwas ist wie ein Vers oder eine Schrift.
À la recherche - IV
So entstand eine Reihe von Skulpturen, von denen eigentlich keine besonders hervorzuheben ist. Die auf der Suche nach der verlorenen Zeit daliegenden alten Frauen unterscheiden sich nämlich nicht von jenem ein wenig süßlich-herben, auf einem Stuhl sitzenden Mädchen mit seinem Tüllröckchen und dem Pleureusen-Hut, und sie unterscheiden sich nicht von den Mädchen mit den Regenschirmen und nicht von der Großmama. Sie unterscheiden sich also nicht von jener im Alltag zu beobachtenden vergänglichen, ephemeren, als schön erachteten, aber schmerzlich entschwindenden, also eigentlich falsch-süßlichen Welt, in der wir leben. Denn unser schwerstes seelisches Problem ist immer die Liebe, die wir für jemanden vom anderen Geschlecht empfinden, aber genauso für eine Blume, für einen Augenblick, in dem die Sonne scheint und die Blätter aufglänzen lässt.
Diese Liebe wird dadurch zerstört, dass der Partner auch einige andere Eigenschaften hat außer denen, die mich für ihn eingenommen hatten, dass sich gelegentlich der Himmel bewölkt oder meine Pflanzen andere Bedürfnisse haben; mit einem Wort: der Wandel der Welt, der mir erst in einem schmerzlichen Augenblick bewusst wird, und dieser Augenblick ist deshalb schmerzlich, weil ich weiß, dass er vergeht.
Nun, die Reihe "à la recherche du temps perdu" baut eigentlich auf dieser Gedankenreihe auf. Ich suche den Tautropfen. Den Tautropfen, von dem ich weiß, dass er gelegentlich nicht einmal ein Tautropfen ist, sondern aus dem Schlamm aufgespritzt ist, und dass manchmal der ganze See übel riecht und voller Mücken ist.
À la recherche - III
Dasselbe spielt sich natürlich auch im Post-Impressionismus ab, der die gegenständliche Darstellung zwar beibehält, aber völlig vernachlässigt, und dadurch zu einer selbständigen dekorativen Kunstrichtung wird. Später dann lässt die Kunst auch die dekorativen Elemente fallen und kehrt zum Gottesbegriff zurück, indem sie nun die andere Seite zergliedert. Das ideologische Bild manifestiert sich zum Beispiel im Stapeln von Coca-Cola-Dosen, in den Auto-Trümmern, wenn der gegenständliche Teil, der naturalistische Teil des Bildes abstrahiert wird, wenn nämlich der See, der uns umgibt, verschwindet, und nur die hineingeworfenen Coca-Cola-Abfälle übrig bleiben. Nun, dieser Teil des Bildes ist dann der Gottesbegriff selbst. Einen der konvergenten Strahlen des Bildes zergliedert der Konstruktivismus, der Pointillismus; die verschiedensten Formen des Modernismus zergliedern den anderen, den ideologischen Strahl, und daraus folgt dann die Negation des Gottesbegriffs, aber auch das Verlangen nach ihm.
Diesen Gedankengang musste ich deshalb so ausführlich darlegen, weil ich darin jenen Punkt gefunden habe, an dem ich den Zustand der Welt, in den ich gerade hineingeboren wurde, meinem Gemüt entsprechend mit meinen Möglichkeiten in Einklang bringen konnte. Proust hat in der Literatur einen Weg gewählt, auf dem der Mikrokosmos, dieser gewisse Tautropfen sichtbar wird. Ebenso wie sich im Tautropfen auf den Seerosen im Teich in jenem Augenblick die ganze Problematik des ihn umgebenden Teiches sammelte, so läuft diese gewisse Proust‘sche Welt, der Duft eines Tees, oder jene Madeleine, auf diesen einen Punkt zu und durch ihn hindurch, freilich mit allen Vor- und Nachteilen der Literatur. Denn ein literarisches Werk baut sein Bild nicht auf einem einzigen Augenblick auf, sondern es baut auf 1200 Seiten immer an diesem gleichen Bild weiter. Deshalb nämlich ist ein literarisches Werk schon von vornherein so abstrakt, weil es eine Reihe von Bildern, eine Reihe von Schleiern übereinander legt, bis schließlich, wenn ich das Buch zuschlage, vor meinen Augen durch diese vielen Schleier, von denen jeder ein winziges Detail hinzufügt, das Bild hindurchleuchtet. Diese Proust'sche Welt wies mir einen Weg, der mir gangbar und weiter entwicklungsfähig schien.
À la recherche - II
Bezeichnend für die europäische Kunst - ich möchte nicht auf jede einzelne Phase bis ins letzte Detail eingehen - ist diese gewisse Annäherung an eine Natur, die den Gott in sich zu bergen vermag. Im Impressionismus wurde sie erreicht. Denken wir nur an das Bild, das vielleicht die vollkommenste Form des Impressionismus darstellt: es ist weder besonders farbenprächtig noch übermäßig ans Herz greifend, es ist einfach das Bild eines Seerosenteiches - ein Gemälde von Monet. Von Anfang an wollte Monet es so malen, als würde man den Teich von seiner Mitte aus betrachten - das heißt, es war nicht als flaches Bild geplant, sondern für einen kreisförmigen Saal, in dessen Mitte der Betrachter sitzt und ringsum, auf allen Seiten, auf den Teich blicken kann. Dieser Teich überflutet den Raum, und man nimmt darin einen Tautropfen auf einer Seerose wahr. Und das innere Leuchten, das daraus erstrahlt, das ist ungefähr der Punkt, an dem wir diese konvergente Bewegung erhaschen können. Das ist der kurze Augenblick der Konvergenz, durch den der Strahl, wie durch eine Linse hindurch, geradeaus weiterläuft. Und das darin verborgene Bild, das bereits bewirkt hat, dass der Blick alles andere ausschließt und sich in diesem einen Punkt realisiert, wird durch diesen Lichtstrahl zergliedert, der dem Einfallwinkel entsprechend weiterläuft und einzelne Elemente herausgreift. Weiter kann man in der Annäherung an eine naturalistische Sichtweise kaum gehen.
Deshalb also greift der Künstler eine Teilansicht heraus und baut das Ganze darauf auf. Das ist eine fragmentarische Kunst. Eine solche fragmentarische Kunstrichtung ist beispielsweise der Konstruktivismus; ist doch die Konstruktion nicht als Selbstzweck, aber in der Annäherung zwischen Gottesbegriff und Natur, auch in einem Rembrandt-Bild verborgen. Ich glaube, man kann kaum etwas Konstruktiveres machen als das. Wieder greift der Strahl die Konstruktion heraus und baut daraus einen selbständigen Gott. In der Malerei Mondrians gibt es eine, ich glaube, fünfteilige Bildreihe. Das erste Bild stellt einen Baum dar. Dann, in den folgenden Bildern, wird der Baum immer weiter abstrahiert, bis schließlich nur noch Quadrate zu erkennen sind. Das Bild ist sehr aufschlussreich. Die abstrakte Kunst nämlich, die von sich behauptet, autonom zu sein, ist ja in der Vorstellung des Künstlers noch gegenständlich. Ist es doch das konkrete Bild eines Baumes, aus dem dieses reizvolle, rhythmisch schöne mondrian'sche Würfelsystem entstanden ist.
Ein solcher Gedankengang läuft auch im Fall des besagten Lichtstrahls ab: in diesem kurzen Augenblick, wenn auf diesem einzelnen Tautropfen auf dem Rosenblatt die im Verlauf der Geschichte konvergent gewordenen Bestrebungen nach dem Gottesbild und dem realen Bild zusammentreffen, zerfällt die Naturgottheit. Sie zerfällt in Pointillismus, wenn das herausgreifende Licht nicht die Struktur, sondern die Farbe hervorhebt. Seurat zufolge sind die Farben der Gemälde deshalb nicht intensiv genug, weil sie gemischt sind. Deshalb trägt er die zum Mischen bestimmten Farben in ihrer ursprünglichen Reinheit in einzelnen Tupfern auf. Er löst also die Farben des Bildes auf und setzt klare Farbtupfer nebeneinander. Man muss etwas zurücktreten, und schon nimmt das Bild klare Formen an und tritt aus dem Nebel hervor. Nun, das ist die gegenständliche Malerei im Stil Seurats. Besonders an eines seiner Bilder erinnere ich mich jetzt, ein Flussufer, es war ein ebenso konventionelles Bild wie die übrigen, nur aus Pünktchen bestehend.
Deshalb also greift der Künstler eine Teilansicht heraus und baut das Ganze darauf auf. Das ist eine fragmentarische Kunst. Eine solche fragmentarische Kunstrichtung ist beispielsweise der Konstruktivismus; ist doch die Konstruktion nicht als Selbstzweck, aber in der Annäherung zwischen Gottesbegriff und Natur, auch in einem Rembrandt-Bild verborgen. Ich glaube, man kann kaum etwas Konstruktiveres machen als das. Wieder greift der Strahl die Konstruktion heraus und baut daraus einen selbständigen Gott. In der Malerei Mondrians gibt es eine, ich glaube, fünfteilige Bildreihe. Das erste Bild stellt einen Baum dar. Dann, in den folgenden Bildern, wird der Baum immer weiter abstrahiert, bis schließlich nur noch Quadrate zu erkennen sind. Das Bild ist sehr aufschlussreich. Die abstrakte Kunst nämlich, die von sich behauptet, autonom zu sein, ist ja in der Vorstellung des Künstlers noch gegenständlich. Ist es doch das konkrete Bild eines Baumes, aus dem dieses reizvolle, rhythmisch schöne mondrian'sche Würfelsystem entstanden ist.
Ein solcher Gedankengang läuft auch im Fall des besagten Lichtstrahls ab: in diesem kurzen Augenblick, wenn auf diesem einzelnen Tautropfen auf dem Rosenblatt die im Verlauf der Geschichte konvergent gewordenen Bestrebungen nach dem Gottesbild und dem realen Bild zusammentreffen, zerfällt die Naturgottheit. Sie zerfällt in Pointillismus, wenn das herausgreifende Licht nicht die Struktur, sondern die Farbe hervorhebt. Seurat zufolge sind die Farben der Gemälde deshalb nicht intensiv genug, weil sie gemischt sind. Deshalb trägt er die zum Mischen bestimmten Farben in ihrer ursprünglichen Reinheit in einzelnen Tupfern auf. Er löst also die Farben des Bildes auf und setzt klare Farbtupfer nebeneinander. Man muss etwas zurücktreten, und schon nimmt das Bild klare Formen an und tritt aus dem Nebel hervor. Nun, das ist die gegenständliche Malerei im Stil Seurats. Besonders an eines seiner Bilder erinnere ich mich jetzt, ein Flussufer, es war ein ebenso konventionelles Bild wie die übrigen, nur aus Pünktchen bestehend.
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Verlorene Zeit
À la recherche - I
Zu diesem Zyklus gehören die Modelle, die wir hier im Nebenraum sehen können: Odette, die Großmama, etc.; geistig verwandt sind ihm aber auch z.B. die Mädchen mit den Regenschirmen.
Lassen Sie mich vielleicht zunächst sagen, dass in diesem Fall der Titel, "auf der Suche nach der verlorenen Zeit" - "à la recherche du temps perdu" - nicht ganz präzise ist. Er lässt sich auch nicht genau übersetzen, es wird schon zu vielerlei hineingedacht. Proust bedeutete für mich eine Möglichkeit, mir über meine Ziele als Künstler klar zu werden. Wenn man sich auf dieses Handwerk verlegt, versucht man sich zunächst in dieser Welt zu orientieren - in dieser Welt, denn das ist eine andere Welt - und versucht, die Wege zu finden, auf denen andere bereits gegangen und irgendwo ans Ziel gelangt sind.
Das Ende des 19. und besonders der Anfang des 20. Jahrhunderts brachten den Zerfall der naturalistischen Kunstauffassung. Wenn wir uns die Künste im Wandel der Zeit so vorstellen, dass wir irgendwo ein paar Tausend Jahre vor Christi Geburt beginnen und uns den Drang des Menschen, sich ein Idol zu schaffen, bewusst machen, sehen wir, dass verschiedene Kulturen verschiedene Strömungen durchmachen. Die europäische Kultur hat eigenartigerweise unmittelbar nach den ersten Anfängen gleich auf den abstraktesten Ursprüngen aufgebaut. Wenn man zum Beispiel an die Höhlen von Altamira denkt und sich an die mehr als zehntausend Jahre alten wunderbaren Zeichnungen der Urmenschen erinnert, dann kommt einem sofort die Frage in den Sinn, warum sie wohl diese wunderbaren Zeichnungen in einer dunklen Höhle angebracht haben, in der man sie nicht sehen konnte. Dieser allererste Schritt birgt in sich schon die Gesamtheit der menschlichen Bedürfnisse in sich. Sie haben diese Bilder nicht gemalt, weil sie sie sehen oder anderen zeigen wollten, sondern es war eine Kulthandlung. Sie symbolisierten, sie beschworen die Seele dieses Tieres, beschworen sogar seine erhoffte Tötung, nahmen das Bild der Zukunft vorweg und führten damit eine religiöse Handlung aus. Im Inneren der Höhle von Altamira finden wir, mit rotem Ocker gemalt, erlegte Tiere, aber wenn wir hinausgehen, werden sie zu Schriftzeichen. Es war bereits in frühester Urzeit des Menschen Ziel, das Wesentliche zu verallgemeinern, zu kodieren oder zu mystifizieren. Wenn der naturalistisch gemalte Ocker-Büffel in die Helligkeit hinaustritt, verwandelt er sich - ebenso wie außerhalb der Höhlen von Altamira - in ein kleines gemeißeltes, völlig buchstabenartiges Figürchen, sein natürlicher Ursprung ist kaum mehr sichtbar, wenngleich verständlich. Es findet also erneut eine Kodierung statt, und wie im Inneren der Höhle die Natur in der Dunkelheit verborgen war, so kodiert hier draußen die Abstraktion des Zeichens die dahinter befindliche Natur.
Dieses als Symbol verwendete Zeichen hat also die Jahrtausende der Geschichte überdauert - man näherte sich aber der Natur immer mehr an. Dieser Prozess geht immer von einem Symbol aus, immer ist also das Gottesbild das Wesentliche, und später nimmt der Gott die Gestalt von Natursymbolen an. Beispielhaft ist dafür die Entwicklung der ägyptischen Kunst, vom Alten Reich bis Echnaton. Später wendet sich die Sache ein wenig, aber etwa bis Echnaton verläuft es so. Das Götteridol nimmt die Gestalt des Menschen an, manchmal die des Pharaos, aber auch des Schakals oder des Krokodils.
Lassen Sie mich vielleicht zunächst sagen, dass in diesem Fall der Titel, "auf der Suche nach der verlorenen Zeit" - "à la recherche du temps perdu" - nicht ganz präzise ist. Er lässt sich auch nicht genau übersetzen, es wird schon zu vielerlei hineingedacht. Proust bedeutete für mich eine Möglichkeit, mir über meine Ziele als Künstler klar zu werden. Wenn man sich auf dieses Handwerk verlegt, versucht man sich zunächst in dieser Welt zu orientieren - in dieser Welt, denn das ist eine andere Welt - und versucht, die Wege zu finden, auf denen andere bereits gegangen und irgendwo ans Ziel gelangt sind.
Das Ende des 19. und besonders der Anfang des 20. Jahrhunderts brachten den Zerfall der naturalistischen Kunstauffassung. Wenn wir uns die Künste im Wandel der Zeit so vorstellen, dass wir irgendwo ein paar Tausend Jahre vor Christi Geburt beginnen und uns den Drang des Menschen, sich ein Idol zu schaffen, bewusst machen, sehen wir, dass verschiedene Kulturen verschiedene Strömungen durchmachen. Die europäische Kultur hat eigenartigerweise unmittelbar nach den ersten Anfängen gleich auf den abstraktesten Ursprüngen aufgebaut. Wenn man zum Beispiel an die Höhlen von Altamira denkt und sich an die mehr als zehntausend Jahre alten wunderbaren Zeichnungen der Urmenschen erinnert, dann kommt einem sofort die Frage in den Sinn, warum sie wohl diese wunderbaren Zeichnungen in einer dunklen Höhle angebracht haben, in der man sie nicht sehen konnte. Dieser allererste Schritt birgt in sich schon die Gesamtheit der menschlichen Bedürfnisse in sich. Sie haben diese Bilder nicht gemalt, weil sie sie sehen oder anderen zeigen wollten, sondern es war eine Kulthandlung. Sie symbolisierten, sie beschworen die Seele dieses Tieres, beschworen sogar seine erhoffte Tötung, nahmen das Bild der Zukunft vorweg und führten damit eine religiöse Handlung aus. Im Inneren der Höhle von Altamira finden wir, mit rotem Ocker gemalt, erlegte Tiere, aber wenn wir hinausgehen, werden sie zu Schriftzeichen. Es war bereits in frühester Urzeit des Menschen Ziel, das Wesentliche zu verallgemeinern, zu kodieren oder zu mystifizieren. Wenn der naturalistisch gemalte Ocker-Büffel in die Helligkeit hinaustritt, verwandelt er sich - ebenso wie außerhalb der Höhlen von Altamira - in ein kleines gemeißeltes, völlig buchstabenartiges Figürchen, sein natürlicher Ursprung ist kaum mehr sichtbar, wenngleich verständlich. Es findet also erneut eine Kodierung statt, und wie im Inneren der Höhle die Natur in der Dunkelheit verborgen war, so kodiert hier draußen die Abstraktion des Zeichens die dahinter befindliche Natur.
Dieses als Symbol verwendete Zeichen hat also die Jahrtausende der Geschichte überdauert - man näherte sich aber der Natur immer mehr an. Dieser Prozess geht immer von einem Symbol aus, immer ist also das Gottesbild das Wesentliche, und später nimmt der Gott die Gestalt von Natursymbolen an. Beispielhaft ist dafür die Entwicklung der ägyptischen Kunst, vom Alten Reich bis Echnaton. Später wendet sich die Sache ein wenig, aber etwa bis Echnaton verläuft es so. Das Götteridol nimmt die Gestalt des Menschen an, manchmal die des Pharaos, aber auch des Schakals oder des Krokodils.
15.06.2010
Märtyrer, Opfer und Helden - XXI
Was hat Sie zu Ihrem "Hommage à Majakovszkij" inspiriert?
Hierfür hatte ich keinerlei Auftrag. Aber bei der Lektüre über Majakowskijs Leben kam ich dahinter, dass Majakowskij sein Schicksal selbst besiegelt hatte, indem er sich zum Werkzeug der Lenin-Propaganda machen ließ. Deshalb versuchte ich in dieser Hommage zum Ausdruck zu bringen, dass er aus dem Lauf eines Maschinengewehrs getötet worden ist. Vielleicht ist Ihnen das nicht weiter aufgefallen, aber wenn Sie genau hinsehen, so haben wir hier im Fenster Majakowskijs kleines Plakat, das er für sein "ROSTA"-Fenster gemacht hatte, und dahinter stehen jene Figuren des russischen Lebens, die er auf seine Weise karikiert hatte. Sie spähen nach draußen, und das Ganze trägt das Emblem des St.-Georgs-Kaffeehauses. Klar, worauf damit angespielt wird. - Ich spielte mit der Idee, der Plastik eine ähnliche Struktur zu geben, wie sie seinerzeit Veit Stoß in seinem Krakauer Altar verwirklicht hatte: die Verbindung zwischen dem geschnitzten Vorder- und dem gemalten Hintergrund. Dort wurden Gras und Pflanzen auf den Hintergrund gemalt, während die Figuren im Vordergrund Vollplastiken sind. Nun, die Idee dieses Vorbilds aufgreifend, dachte ich mir, dass man eine Glasscheibe von hinten bemalen, davor jedoch eine plastische Figur stellen könne. Das ist das Wesentliche an dieser Skulptur.
Hierfür hatte ich keinerlei Auftrag. Aber bei der Lektüre über Majakowskijs Leben kam ich dahinter, dass Majakowskij sein Schicksal selbst besiegelt hatte, indem er sich zum Werkzeug der Lenin-Propaganda machen ließ. Deshalb versuchte ich in dieser Hommage zum Ausdruck zu bringen, dass er aus dem Lauf eines Maschinengewehrs getötet worden ist. Vielleicht ist Ihnen das nicht weiter aufgefallen, aber wenn Sie genau hinsehen, so haben wir hier im Fenster Majakowskijs kleines Plakat, das er für sein "ROSTA"-Fenster gemacht hatte, und dahinter stehen jene Figuren des russischen Lebens, die er auf seine Weise karikiert hatte. Sie spähen nach draußen, und das Ganze trägt das Emblem des St.-Georgs-Kaffeehauses. Klar, worauf damit angespielt wird. - Ich spielte mit der Idee, der Plastik eine ähnliche Struktur zu geben, wie sie seinerzeit Veit Stoß in seinem Krakauer Altar verwirklicht hatte: die Verbindung zwischen dem geschnitzten Vorder- und dem gemalten Hintergrund. Dort wurden Gras und Pflanzen auf den Hintergrund gemalt, während die Figuren im Vordergrund Vollplastiken sind. Nun, die Idee dieses Vorbilds aufgreifend, dachte ich mir, dass man eine Glasscheibe von hinten bemalen, davor jedoch eine plastische Figur stellen könne. Das ist das Wesentliche an dieser Skulptur.
Märtyrer, Opfer und Helden - XX
Ungewöhnlich und hervorragend ist auch die Gestaltung des "Partisans", dessen Modell wir hier sehen. Haben Sie ihn auch im Großformat realisieren können?
Ein Partisan - so meine ich -, der in der rechten Hand die Fahne schwenkt, in der linken einen Revolver, der wird von niemandem als Gegner betrachtet, sondern als Narr. Den würde man nicht verhaften, sondern in die Nervenheilanstalt einliefern. Der Partisan, das bedeutet schon das Wort selbst, agiert im Geheimen, er muss sich also gleichsam in die Mauer hinein schmiegen, in ihr verschwinden.
In meiner Kindheit pflegten wir an solchen langen Bretterzäunen entlangzulaufen, wir strichen mit den Fingern daran entlang und unsere Finger glitten immer in die Fugen. Diese Wände waren mit Plakaten beklebt, und es machte uns immer besonderen Spaß, die Plakate einzureißen. Daran dachte ich zurück, als ich diese Wand machte, auf der Plakate aufgeklebt sind und an die sich der Partisan mit dem Rücken anlehnt.
Das Denkmal selbst wurde später nicht so ausgeführt, mein Vorschlag wurde nicht angenommen. Die Jury beauftragte eine Architektin, die einen schönen, netten Hintergrund machen sollte - es ist schrecklich anzusehen. Nun, da war nichts zu machen, damals. Ich habe später einmal angeboten, es in Ordnung zu bringen, aber man meinte, das sei unwichtig, wir hätten ja das Modell, und das genüge. Die große Plastik steht irgendwo in Újpest. In einer schrecklichen Umgebung, denn die Architektin hat Wände aus geschliffenen Steinen, aus Kalksteinen, wie einen spanischen Fächer kunstvoll ringsherum drapiert.
Das kleine Modell, glaube ich, kann ich ruhigen Gewissens für gut halten. In diesem Jahr hat ein amerikanischer Sammler eines gekauft, und darüber hinaus gibt es noch ein weiteres in einem Museum oder einer Sammlung. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vier Exemplare davon gefertigt. Ein interessanter Versuch war für mich die Unmittelbarkeit des Umfelds - das heißt, er wäre interessant gewesen, wenn ich ihn denn hätte realisieren dürfen - nicht wahr, diese ganz hohen Bretterzäune, sie hätten auch aus Beton sein können, in dem der Abdruck der Schalungsbretter sichtbar gewesen wäre. Die Plakate hätten aus emailliertem Chromblech sein können. Damit hätte man ein wirklich modernes, hervorragendes Denkmal gestalten können. Die große Plastik aber trägt die Symptome dieser konformistischen Beflissenheit, die immer bezeichnend war für die Kunst des Sozialismus.
Ein Partisan - so meine ich -, der in der rechten Hand die Fahne schwenkt, in der linken einen Revolver, der wird von niemandem als Gegner betrachtet, sondern als Narr. Den würde man nicht verhaften, sondern in die Nervenheilanstalt einliefern. Der Partisan, das bedeutet schon das Wort selbst, agiert im Geheimen, er muss sich also gleichsam in die Mauer hinein schmiegen, in ihr verschwinden.
In meiner Kindheit pflegten wir an solchen langen Bretterzäunen entlangzulaufen, wir strichen mit den Fingern daran entlang und unsere Finger glitten immer in die Fugen. Diese Wände waren mit Plakaten beklebt, und es machte uns immer besonderen Spaß, die Plakate einzureißen. Daran dachte ich zurück, als ich diese Wand machte, auf der Plakate aufgeklebt sind und an die sich der Partisan mit dem Rücken anlehnt.
Das Denkmal selbst wurde später nicht so ausgeführt, mein Vorschlag wurde nicht angenommen. Die Jury beauftragte eine Architektin, die einen schönen, netten Hintergrund machen sollte - es ist schrecklich anzusehen. Nun, da war nichts zu machen, damals. Ich habe später einmal angeboten, es in Ordnung zu bringen, aber man meinte, das sei unwichtig, wir hätten ja das Modell, und das genüge. Die große Plastik steht irgendwo in Újpest. In einer schrecklichen Umgebung, denn die Architektin hat Wände aus geschliffenen Steinen, aus Kalksteinen, wie einen spanischen Fächer kunstvoll ringsherum drapiert.
Das kleine Modell, glaube ich, kann ich ruhigen Gewissens für gut halten. In diesem Jahr hat ein amerikanischer Sammler eines gekauft, und darüber hinaus gibt es noch ein weiteres in einem Museum oder einer Sammlung. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich vier Exemplare davon gefertigt. Ein interessanter Versuch war für mich die Unmittelbarkeit des Umfelds - das heißt, er wäre interessant gewesen, wenn ich ihn denn hätte realisieren dürfen - nicht wahr, diese ganz hohen Bretterzäune, sie hätten auch aus Beton sein können, in dem der Abdruck der Schalungsbretter sichtbar gewesen wäre. Die Plakate hätten aus emailliertem Chromblech sein können. Damit hätte man ein wirklich modernes, hervorragendes Denkmal gestalten können. Die große Plastik aber trägt die Symptome dieser konformistischen Beflissenheit, die immer bezeichnend war für die Kunst des Sozialismus.
Märtyrer, Opfer und Helden - XIX
In Ihrem Werk bringen Sie zum Ausdruck, dass auch der Held im Grunde ein Opfer ist. Wie sind Sie zu dieser ungewöhnlichen Darstellungsform gekommen?
Es war im Frühjahr 1957, also schon nach der Revolution, als die ersten Urteile gesprochen wurden. Auch ich wurde aus dem Künstlerverband ausgeschlossen und zum Schweigen verurteilt. Eines Tages erhielt ich eine telefonische Warnung, dass mir eine Hausdurchsuchung bevorstehe. Und ich begann, selbst das Haus nach Dingen zu durchsuchen, die bei mir gefunden werden könnten. Offenbar hatte ich kein reines Gewissen... Ich fand Auszeichnungen, unter anderem auch mein Diplom, von Horthy unterzeichnet. Das konnte ich verbrennen, aber die Auszeichnungen wagte ich nicht in den Müll zu werfen. Denn ich glaubte, dass jeder Hausmeister ein Zuträger des Innenministeriums sei, der mich anzeigen würde, wenn er das sähe. Also ging ich in meine Werkstatt und nagelte die Orden auf ein bereits früher gebautes Holzgestell. Im Notfall konnte ich erklären, dass daraus einmal die Skulptur eines negativen Helden werden sollte. Nun, als ich ein paar Monate später wieder in die Werkstatt ging, fand ich, dass ich kaum ein perfekteres Denkmal für einen im Bewusstsein seines Heldentums gefallenen Soldaten machen konnte.
Zuerst näherte ich mich dem Thema auf non-figurative Weise - ich habe noch ein kleines Bleimodell davon, damals wollte ich es eigentlich in der Art einer Hekatombe konstruieren. Dieser Gedanke war mir öfters durch den Kopf gegangen. Die Hekatombe wird durch eine nach unten zeigende Lanze dargestellt, an der Schild, Panzer und Helm des Helden, seine Waffen und manchmal einige Sieges-Abzeichen aufgehängt werden. Solche Hekatomben wurden seit der Renaissance hauptsächlich in Stilepochen der nationalen Erneuerung auf klassizistischen Gebäuden angebracht. Nun, an eine solche Hekatombe hatte ich gedacht. Hekatombe, das heißt wörtlich Opfer, "ein Schlachtopfer von hundert Ochsen".
Wesentlich ist, dass mir die Darstellung der Hekatombe nicht entsprach und ich deshalb eine absurde Figur machte: einen Soldaten ohne Arme, ohne Beine, ohne Kopf, mit ordengeschmückter Brust. Ich war überzeugt, dass das gut war - wenn ich auch wusste und bis heute weiß, dass es keinen Menschen gibt, der - erzogen in unserer ansonsten das Heldentum verherrlichenden Kultur - eine derartige Deheroisierung akzeptieren kann. Ich meine damit, dass niemals jemand ein solches Denkmal aufstellen wird. In einer norwegischen Sammlung, in Oslo, existiert ein Exemplar davon, die haben es gekauft, und hier in meiner Sammlung kann man eines finden, sonst nirgends. - Vielleicht sollte man es im Kriegshistorischen Museum aufstellen? - Ich fürchte, dass man diese Vorstellung im Kriegshistorischen Museum nicht unbedingt passend finden würde.
Es war im Frühjahr 1957, also schon nach der Revolution, als die ersten Urteile gesprochen wurden. Auch ich wurde aus dem Künstlerverband ausgeschlossen und zum Schweigen verurteilt. Eines Tages erhielt ich eine telefonische Warnung, dass mir eine Hausdurchsuchung bevorstehe. Und ich begann, selbst das Haus nach Dingen zu durchsuchen, die bei mir gefunden werden könnten. Offenbar hatte ich kein reines Gewissen... Ich fand Auszeichnungen, unter anderem auch mein Diplom, von Horthy unterzeichnet. Das konnte ich verbrennen, aber die Auszeichnungen wagte ich nicht in den Müll zu werfen. Denn ich glaubte, dass jeder Hausmeister ein Zuträger des Innenministeriums sei, der mich anzeigen würde, wenn er das sähe. Also ging ich in meine Werkstatt und nagelte die Orden auf ein bereits früher gebautes Holzgestell. Im Notfall konnte ich erklären, dass daraus einmal die Skulptur eines negativen Helden werden sollte. Nun, als ich ein paar Monate später wieder in die Werkstatt ging, fand ich, dass ich kaum ein perfekteres Denkmal für einen im Bewusstsein seines Heldentums gefallenen Soldaten machen konnte.
Zuerst näherte ich mich dem Thema auf non-figurative Weise - ich habe noch ein kleines Bleimodell davon, damals wollte ich es eigentlich in der Art einer Hekatombe konstruieren. Dieser Gedanke war mir öfters durch den Kopf gegangen. Die Hekatombe wird durch eine nach unten zeigende Lanze dargestellt, an der Schild, Panzer und Helm des Helden, seine Waffen und manchmal einige Sieges-Abzeichen aufgehängt werden. Solche Hekatomben wurden seit der Renaissance hauptsächlich in Stilepochen der nationalen Erneuerung auf klassizistischen Gebäuden angebracht. Nun, an eine solche Hekatombe hatte ich gedacht. Hekatombe, das heißt wörtlich Opfer, "ein Schlachtopfer von hundert Ochsen".
Wesentlich ist, dass mir die Darstellung der Hekatombe nicht entsprach und ich deshalb eine absurde Figur machte: einen Soldaten ohne Arme, ohne Beine, ohne Kopf, mit ordengeschmückter Brust. Ich war überzeugt, dass das gut war - wenn ich auch wusste und bis heute weiß, dass es keinen Menschen gibt, der - erzogen in unserer ansonsten das Heldentum verherrlichenden Kultur - eine derartige Deheroisierung akzeptieren kann. Ich meine damit, dass niemals jemand ein solches Denkmal aufstellen wird. In einer norwegischen Sammlung, in Oslo, existiert ein Exemplar davon, die haben es gekauft, und hier in meiner Sammlung kann man eines finden, sonst nirgends. - Vielleicht sollte man es im Kriegshistorischen Museum aufstellen? - Ich fürchte, dass man diese Vorstellung im Kriegshistorischen Museum nicht unbedingt passend finden würde.
Märtyrer, Opfer und Helden - XVIII
Ich war in Vác und in Gödöllõ auf der Suche nach Ihren Lenin-Statuen. - Sie sind nicht mehr da, nirgends mehr. Schauen Sie, das ist die andere Seite genau der gleichen primitiven Denkungsart. Als das ungarische Bergwerkswesen zugrunde ging, fing man an, Skulpturen von Bergleuten machen zu lassen. Davon wurde die Lage der Bergwerke aber nicht besser. Na, und wenn ich die Skulpturen wieder entferne, wird es auch nicht besser. Das ist das Denken auf einer anderen Ebene, auf der kulturellen Ebene. Seine Gleichsetzung mit dem Alltagsleben ist, wie gesagt, genauso primitiv wie ihr Gegenteil. Ob man die Skulpturen aufstellt oderentfernt, das hat nichts mit dem wirklichen Leben zu tun. Als man die erste entfernte, habe ich angeboten, sie zurückzukaufen. Wissen Sie, ich hätte es bedauert, wenn sie ganz verschwunden wären. Aber damals wollte man sie mir nicht geben. Später, als man doch dazu bereit gewesen wäre, war ihre Erhaltung für mich schon sinnlos geworden. Ich hätte nicht gewusst, wohin mit ihnen. - Und außerdem hatten Sie sie für diesen und keinen anderen Platz gemacht! - Ja, eben. Man kann sie nicht irgendwo anders einfach aufstellen. Kurz, das war das Problem auch bei diesem Lenin in Kaposvár. Der schiefe Weg, auf dem diese Gestalten aus der Schattenwelt herauskommen - man kann nicht einmal darauf gehen, so schief ist der Weg - nun, der übertragene Sinn ist evident.
Märtyrer, Opfer und Helden - XVII
Doch meine Idee dieses doppelten Zitats konnte den Zeitläuften nicht standhalten; ihretwegen wurde das Denkmal nach der politischen Wende abgerissen. Wenn dieses Lenin-Emblem als Symbol für eine Überzeugung nicht gewesen wäre, hätte man das Denkmal in Ruhe gelassen. Nun, eigentlich hätte ich diese Figuren gern gerettet, als ich erfuhr, dass man sie außerhalb der Stadt in einen Sumpf geworfen hatte. Von dort wurden drei schon gleich gestohlen, mit Pferden aus dem Sumpf gezogen - offensichtlich brauchte jemand das Rohmaterial der Bronzen. Die verbliebenen Vier habe ich für die Stadt Siófok erbeten, die für mich ein "Gedenkhaus" bauen will, und ich bedachte dabei, dass eine so teure Skulptur - es sind 2,20 m große Gestalten - so viel kostet wie das ganze Haus. Warum sollten wir sie also nicht nach Siófok holen? Sie sind jetzt schon dort, und dieser Tage werde ich hinfahren, um sie auf einem provisorischen Platz aufzustellen. Eben nur vier von sieben, denn die anderen sind wahrscheinlich vernichtet worden. Nun, so spielt das Leben.
Märtyrer, Opfer und Helden - XVI
Welchen historischen Hintergrund hat das Märtyrerdenkmal von Kaposvár? Was ist aus den Figuren geworden? Sind auch sie der politischen Wende zum Opfer gefallen?
Für Kaposvár wünschte man von mir um jeden Preis eine Lenin-Statue. Ich sagte, einfach nur eine Lenin-Statue wolle ich nicht machen. Stattdessen fertigte ich - da Kaposvár die Hauptstadt des Komitats Somogy ist, in dem ich geboren bin - ein Märtyrer-Denkmal: Die zum Tode Verurteilten nähern sich auf einem Weg, der aus dem finsteren Wald auf einen Platz führt. Es sind die Mitglieder des 1919-er Direktoriums von Kaposvár, die eines qualvollen Todes sterben mussten. Horthys Freikorps-Offiziere hatten nach dem Sturz der Räterepublik von Siófok aus das ganze Gebiet durchkämmt und haben diese Menschen zu Tode gequält und im Wald auf grausamste Weise niedergemetzelt. Einzelheiten erzähle ich Ihnen darüber nicht, sie waren schrecklich.
Da von den meisten kein authentisches Foto zu finden war, porträtierte ich für das Denkmal die Mitglieder meiner eigenen Familie. So ist die Figur eines Mannes in Soldatenuniform das Porträt meines Vaters als Soldat. Die Frau trägt die Züge meiner Großmutter, und so fort. Zwischen die ersten beiden Figuren stellte ich die Gestalt Lenins als Verkörperung der fixen Idee, für die sie gestorben sind, wie ein Zitat zwischen zwei Anführungszeichen. Dieser Lenin steht also auf zweifache Weise in Anführungszeichen: einmal ist die Gruppe der Märtyrer als Skulptur bereits ein Zitat, und innerhalb dieses Zitats wird ihre Überzeugung durch ein weiteres Zitat oder Symbol sichtbar gemacht.
Für Kaposvár wünschte man von mir um jeden Preis eine Lenin-Statue. Ich sagte, einfach nur eine Lenin-Statue wolle ich nicht machen. Stattdessen fertigte ich - da Kaposvár die Hauptstadt des Komitats Somogy ist, in dem ich geboren bin - ein Märtyrer-Denkmal: Die zum Tode Verurteilten nähern sich auf einem Weg, der aus dem finsteren Wald auf einen Platz führt. Es sind die Mitglieder des 1919-er Direktoriums von Kaposvár, die eines qualvollen Todes sterben mussten. Horthys Freikorps-Offiziere hatten nach dem Sturz der Räterepublik von Siófok aus das ganze Gebiet durchkämmt und haben diese Menschen zu Tode gequält und im Wald auf grausamste Weise niedergemetzelt. Einzelheiten erzähle ich Ihnen darüber nicht, sie waren schrecklich.
Da von den meisten kein authentisches Foto zu finden war, porträtierte ich für das Denkmal die Mitglieder meiner eigenen Familie. So ist die Figur eines Mannes in Soldatenuniform das Porträt meines Vaters als Soldat. Die Frau trägt die Züge meiner Großmutter, und so fort. Zwischen die ersten beiden Figuren stellte ich die Gestalt Lenins als Verkörperung der fixen Idee, für die sie gestorben sind, wie ein Zitat zwischen zwei Anführungszeichen. Dieser Lenin steht also auf zweifache Weise in Anführungszeichen: einmal ist die Gruppe der Märtyrer als Skulptur bereits ein Zitat, und innerhalb dieses Zitats wird ihre Überzeugung durch ein weiteres Zitat oder Symbol sichtbar gemacht.
Märtyrer, Opfer und Helden - XV
Hier sehen wir noch ein weiteres Märtyrer-Denkmal, das von Gyula Kulich: Wer war eigentlich Gyula Kulich?
Eigentlich weiß niemand, weder in Ungarn noch anderswo, wer dieser Gyula Kulich war. Er hatte eine Nebenrolle in der Arbeiterbewegung der Horthy-Ära. Auch ich selbst habe erst Näheres über ihn gehört, als mir der Auftrag für dieses Denkmal erteilt wurde.
Kulich war ein Schneidergeselle, der in Békéscsaba geboren wurde, dann nach Budapest kam, und nach einem kurzen Aufenthalt hier verhaftet und interniert wurde. Vom Internierungslager gelangte er dann in ein deutsches Konzentrationslager, wo er starb. Dieses Schicksal schien mir geeignet zu sein für die Annäherung an einen allgemeineren Märtyrer-Begriff. Sein Äußeres hingegen - eine noch erhaltene Fotographie zeigt ihn als ein kleines, bürgerlich gekleidetes Männlein - schien mir nicht geeignet, in seiner Gestalt zum Ausdruck zu bringen, was ich über das Märtyrertum zu sagen hatte.
Ich ging von der Vorstellung aus, dass ich zwischen den Wurzeln eines Baumes, den ich aus der Erde reiße, unbedingt einen Toten entdecken würde, denn die Bäume leben ja von ihnen. Damit wollte ich sagen, dass sich der Tod eines Märtyrers eigentlich in die Ordnung der Natur einfügt, dass ebenso, wie der Baum sich aus einem vermodernden Körper ernährt, auch ein Märtyrer, der für eine Idee gestorben ist, im übertragenen Sinn durch seinen Tod dazu beiträgt, dass diese Idee zu einem Baum heranwachsen kann.
Eigentlich weiß niemand, weder in Ungarn noch anderswo, wer dieser Gyula Kulich war. Er hatte eine Nebenrolle in der Arbeiterbewegung der Horthy-Ära. Auch ich selbst habe erst Näheres über ihn gehört, als mir der Auftrag für dieses Denkmal erteilt wurde.
Kulich war ein Schneidergeselle, der in Békéscsaba geboren wurde, dann nach Budapest kam, und nach einem kurzen Aufenthalt hier verhaftet und interniert wurde. Vom Internierungslager gelangte er dann in ein deutsches Konzentrationslager, wo er starb. Dieses Schicksal schien mir geeignet zu sein für die Annäherung an einen allgemeineren Märtyrer-Begriff. Sein Äußeres hingegen - eine noch erhaltene Fotographie zeigt ihn als ein kleines, bürgerlich gekleidetes Männlein - schien mir nicht geeignet, in seiner Gestalt zum Ausdruck zu bringen, was ich über das Märtyrertum zu sagen hatte.
Ich ging von der Vorstellung aus, dass ich zwischen den Wurzeln eines Baumes, den ich aus der Erde reiße, unbedingt einen Toten entdecken würde, denn die Bäume leben ja von ihnen. Damit wollte ich sagen, dass sich der Tod eines Märtyrers eigentlich in die Ordnung der Natur einfügt, dass ebenso, wie der Baum sich aus einem vermodernden Körper ernährt, auch ein Märtyrer, der für eine Idee gestorben ist, im übertragenen Sinn durch seinen Tod dazu beiträgt, dass diese Idee zu einem Baum heranwachsen kann.
Märtyrer, Opfer und Helden - XIV
Zu diesem Themenkreis gehört auch Ihr Holocaust-Denkmal.
Nun, das Holocaust-Denkmal hat wiederum eine andere Vorgeschichte. Zu jener Zeit konnte man so etwas bereits zulassen, zum Teil, weil das Wallenberg-Denkmal den Weg dafür bereitet hatte. Man kam dahinter, dass ein Denkmal nicht beißt, also konnte man auch ein Holocaust-Denkmal tolerieren. Der Staat duldete es, aber er hat es noch immer nicht unterstützt, stellte dafür noch immer keinen Platz zur Verfügung. In einer Zeit, in der man über das ganze Land verstreut eine Unzahl von mehr oder weniger notwendigen Denkmälern errichtete, in dieser Zeit gab es angeblich kein Geld, um 600000 ermordeten Ungarn ein Denkmal zu setzen.
Damals durften bereits Vertreter des World Jewish Congress mit offizieller Erlaubnis nach Ungarn einreisen. Ich hatte schon früher ein Holocaust-Denkmal entworfen, und als die Leute vom World Jewish Congress zu mir kamen, um über einen solchen Auftrag zu sprechen, konnte ich ihnen einen fertigen Entwurf auf den Tisch legen. Diese große Trauerweide, die hatte ich schon fertig. Sie sahen sich den Entwurf an, und sagten, "wir machen es". Ich hatte auch schon einen Weg gefunden, wie man dafür Geld beschaffen konnte: Diejenigen, die 50 oder 100 Dollar für das Denkmal stifteten, durften die Namen ihrer ermordeten Angehörigen in die Blätter der Trauerweide eingravieren lassen. Als wir dann mit dem Denkmal fertig waren, hatten wir schon etwa 5000 Namen, und seitdem kommen jedes Jahr immer neue hinzu.
Der Holocaust hat mich schon immer beschäftigt. Es ist einfach die Unmenschlichkeit, die mich immer wieder betroffen macht, wie zum Beispiel das, was heute, gleichsam in den letzten Minuten unseres Jahrhunderts, hier in der Nachbarschaft, im ehemaligen Jugoslawien geschieht, wo 40000 Frauen quasi institutionell vergewaltigt werden.
Nun, das Holocaust-Denkmal hat wiederum eine andere Vorgeschichte. Zu jener Zeit konnte man so etwas bereits zulassen, zum Teil, weil das Wallenberg-Denkmal den Weg dafür bereitet hatte. Man kam dahinter, dass ein Denkmal nicht beißt, also konnte man auch ein Holocaust-Denkmal tolerieren. Der Staat duldete es, aber er hat es noch immer nicht unterstützt, stellte dafür noch immer keinen Platz zur Verfügung. In einer Zeit, in der man über das ganze Land verstreut eine Unzahl von mehr oder weniger notwendigen Denkmälern errichtete, in dieser Zeit gab es angeblich kein Geld, um 600000 ermordeten Ungarn ein Denkmal zu setzen.
Damals durften bereits Vertreter des World Jewish Congress mit offizieller Erlaubnis nach Ungarn einreisen. Ich hatte schon früher ein Holocaust-Denkmal entworfen, und als die Leute vom World Jewish Congress zu mir kamen, um über einen solchen Auftrag zu sprechen, konnte ich ihnen einen fertigen Entwurf auf den Tisch legen. Diese große Trauerweide, die hatte ich schon fertig. Sie sahen sich den Entwurf an, und sagten, "wir machen es". Ich hatte auch schon einen Weg gefunden, wie man dafür Geld beschaffen konnte: Diejenigen, die 50 oder 100 Dollar für das Denkmal stifteten, durften die Namen ihrer ermordeten Angehörigen in die Blätter der Trauerweide eingravieren lassen. Als wir dann mit dem Denkmal fertig waren, hatten wir schon etwa 5000 Namen, und seitdem kommen jedes Jahr immer neue hinzu.
Der Holocaust hat mich schon immer beschäftigt. Es ist einfach die Unmenschlichkeit, die mich immer wieder betroffen macht, wie zum Beispiel das, was heute, gleichsam in den letzten Minuten unseres Jahrhunderts, hier in der Nachbarschaft, im ehemaligen Jugoslawien geschieht, wo 40000 Frauen quasi institutionell vergewaltigt werden.
Märtyrer, Opfer und Helden - XIII
Ich würde gern noch einmal auf Babij Jar zurückkommen. Mich hat an der Gestaltung des Denkmals besonders berührt, dass Sie die Opfer durch Christusfiguren dargestellt haben. Diese Symbolik lässt sich auf mehrfache Weise deuten. -
Sehen Sie, damit ist eigentlich eine Metamorphose gemeint: Im Leiden wird der Mensch zu Gott. Das ist ein Gedanke von Thomas Mann. Thomas Mann schreibt in "Josef und seine Brüder" von diesem Übergang des Pharao vom Leben zum Tod, bei dem seine Knochen zu Silber werden. Eine solche Metamorphose findet eigentlich auch hier statt: der leidende und sterbende Mensch verwandelt sich in Christus, in Gott. Ich habe wieder nur einen Vorgang ins Bildliche übertragen: diese Felsen hier kann ich nicht und möchte ich auch nicht verwandeln, also verwandle ich die Gestalten der Opfer. Die Menschen, die in die Schlucht stürzen, sie verwandeln sich in Christus.
Mit diesem Denkmal hätte man seinerzeit Jewtuschenko eigentlich den Rücken stärken können, aber damals freute sich niemand so recht darüber. Mit der Kunst lässt sich auch politisieren, und ich finde, dass ich das sehr anständig gemacht habe. Ich setzte dafür vieles aufs Spiel. Freilich, heute ist es schon uninteressant, ob eine Sache damals riskant war oder nicht. Wer heute das Gleiche sagt, der kann es schon laut herausschreien, ich konnte es nur in verschlüsselter Form sagen. Aber ich habe dabei viel gewonnen, denn wenn man so zu sprechen lernt, dass eine Aussage mehrere Deutungen zulässt, dann nähert man sich eigentlich schon der Poesie. Ein poetisches Wort ist ja nicht nur, was es scheint, sondern es steckt mehr dahinter. Es sagt auf der zweiten, der poetischen Ebene manchmal mehr als man in anderer, prosaischer Form ausdrücken könnte.
Sehen Sie, damit ist eigentlich eine Metamorphose gemeint: Im Leiden wird der Mensch zu Gott. Das ist ein Gedanke von Thomas Mann. Thomas Mann schreibt in "Josef und seine Brüder" von diesem Übergang des Pharao vom Leben zum Tod, bei dem seine Knochen zu Silber werden. Eine solche Metamorphose findet eigentlich auch hier statt: der leidende und sterbende Mensch verwandelt sich in Christus, in Gott. Ich habe wieder nur einen Vorgang ins Bildliche übertragen: diese Felsen hier kann ich nicht und möchte ich auch nicht verwandeln, also verwandle ich die Gestalten der Opfer. Die Menschen, die in die Schlucht stürzen, sie verwandeln sich in Christus.
Mit diesem Denkmal hätte man seinerzeit Jewtuschenko eigentlich den Rücken stärken können, aber damals freute sich niemand so recht darüber. Mit der Kunst lässt sich auch politisieren, und ich finde, dass ich das sehr anständig gemacht habe. Ich setzte dafür vieles aufs Spiel. Freilich, heute ist es schon uninteressant, ob eine Sache damals riskant war oder nicht. Wer heute das Gleiche sagt, der kann es schon laut herausschreien, ich konnte es nur in verschlüsselter Form sagen. Aber ich habe dabei viel gewonnen, denn wenn man so zu sprechen lernt, dass eine Aussage mehrere Deutungen zulässt, dann nähert man sich eigentlich schon der Poesie. Ein poetisches Wort ist ja nicht nur, was es scheint, sondern es steckt mehr dahinter. Es sagt auf der zweiten, der poetischen Ebene manchmal mehr als man in anderer, prosaischer Form ausdrücken könnte.
Märtyrer, Opfer und Helden - XII
Dieses ganze verwickelte historische Bild wird in diesem Denkmal in Erinnerung gerufen. Leider kann ich nichts dagegen tun, dass sich alles für Propagandazwecke benutzen lässt: in solchen Zeiten des Übergangs trifft man viele opportunistische, wie ich meine, verantwortungslose, oberflächliche Menschen, die so etwas nicht zu Ende denken wollen.
Für sie stand dort ein Denkmal, und dieses Denkmal handelt von Béla Kun - wen kümmert es schon, dass es von seinem Platz in der Geschichte, dem Platz unter dem Galgen, beim Abschied von den Geistern spricht? - Ja, so kompliziert ist die Laufbahn eines Künstlers.
Märtyrer, Opfer und Helden - XI
Leider hat sich später bestätigt, wie wenig sie verstanden wurde, zum Beispiel im Fall des Béla-Kun-Denkmals in Budapest, das man nach der politischen Wende abreißen ließ. Obwohl es das erste kritische Denkmal in der Geschichte ist. Es erzählt von einem Menschen, der im Augenblick des Abschieds den Schattengeistern, den Gespenstern der in seinem Auftrag Hingerichteten begegnet. Das Ganze schwebt über der Erde, und dort steht dieser Mensch, der zum Abschied winkt, mit dem Hut in der Hand, unter dem Galgen.
In einem ungarischen Gedicht - Petõfi schrieb es 1948, als in Wien der Graf Latour gelyncht wurde - heißt es: "Um Latours Hals der Strick...". Nun, Latour wurde an einem Laternenpfahl aufgehängt. Seither hat der Laternenpfahl in der ungarischen Dichtung nicht nur die Bedeutung einer Stange, die einen Beleuchtungskörper trägt, sondern die des Galgens. Und Béla Kun steht dort neben einem Laternenpfahl, die Lampe daran brannte Tag und Nacht. Wer lesen kann, für den ist das ein kritisches Denkmal. Für einen Analphabeten ist es das freilich nicht. Dem Analphabeten ist es völlig egal, was es ist. Auf diese Weise wurde seinerzeit unter Berufung auf die Schriften des Propheten die alexandrinische Bibliothek vernichtet: man steckte sie in Brand, weil das, "was bereits im Koran steht, überflüssig ist, und was nicht im Koran steht, eben deshalb überflüssig ist"... Na, gleichviel, ich möchte diese beiden Fälle nicht mit einander vergleichen, aber die Geste, die Tat war ebenso falsch. - Nicht wahr, dort sind die Opfer porträtiert, sie alle sind dem durch Béla Kun gegründeten ungarischen Kommunismus zum Opfer gefallen, und teilweise wurde auch er selbst zum Opfer: Man nimmt an, dass er 1937 in der Sowjetunion hingerichtet wurde.
Märtyrer, Opfer und Helden - X
Aber in voller Größe wurde es nie realisiert? - Nein, niemals. Wie hätte man das auch bewerkstelligen sollen? Man konnte ja ein Denkmal nur machen, wenn die Machthaber es wenigstens dem Titel nach akzeptierten. War der Titel einmal akzeptiert, konnte ich in dem Denkmal meine Meinung zum Ausdruck bringen - die verstand sowieso niemand.
Märtyrer, Opfer und Helden - IX
Jewgenij Jewtuschenko: Babij Jar
Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine, unbehaune Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir zieh‘n aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch: die Spuren der Nägel.
...
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhasst bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Hass,
so hassen sie mich -
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Russe.
(übersetzt von Paul Celan)
Über Babij Jar, da steht keinerlei Denkmal.
Ein schroffer Hang - der eine, unbehaune Grabstein.
Mir ist angst.
Ich bin alt heute,
so alt wie das jüdische Volk.
Ich glaube, ich bin jetzt
ein Jude.
Wir zieh‘n aus Ägyptenland aus, ich zieh mit.
Man schlägt mich ans Kreuz, ich komm um,
und da, da seht ihr sie noch: die Spuren der Nägel.
...
Ich habe kein jüdisches Blut in den Adern.
Aber verhasst bin ich allen Antisemiten.
Mit wütigem, schwieligem Hass,
so hassen sie mich -
wie einen Juden.
Und deshalb bin ich
ein wirklicher Russe.
(übersetzt von Paul Celan)
Märtyrer, Opfer und Helden - VIII
Ja, auch Babij Jar gehört hierher. Ein russischer Dichter namens Jewtuschenko hat ein Gedicht über die Schlucht von Baba geschrieben. Dort, in der Nähe von Kiew, waren im Herbst 1941 etwa 33000 jüdische Männer, Frauen und Kinder von der deutschen Gestapo und der ukrainischen Kollaborations-Miliz mit Maschinengewehren umgebracht und in die Schlucht gestoßen worden.
Jewtuschenko schreibt in seinem Gedicht, dass er sich gleichsam als Jude fühle, weil er am Schicksal dieser Juden Anteil nehmen wolle. Ihm wurden daraufhin alle möglichen Strafen zuteil; ich wiederum wollte meine Anteilnahme an seinem Schicksal zum Ausdruck bringen. Deshalb legte ich der sowjetischen Botschaft diesen Entwurf vor und erbot mich, das Denkmal zu machen. - Wann war das? - Nun, als dieser Skandal um Jewtuschenko war, irgendwann in den 70er Jahren. Damals war es György Aczél, der mir aus der Klemme half.
Märtyrer, Opfer und Helden - VII
Mein Kleinmut ist der Grund dafür, dass es dort steht, wo es steht, und nicht am Ort des früheren, abgerissenen Wallenberg-Denkmals. Aber damals - 1987 - war zwar Gorbatschow schon an der Macht (ich musste wegen der Aufstellung des Denkmals auch mit seinem Büro Verbindung aufnehmen), aber man konnte damals noch nicht klar erkennen, konnte nicht sicher sein, dass der Zusammenbruch der Sowjets die Aufstellung des Wallenberg-Denkmals am ursprünglichen Ort möglich machen würde, und konnte vor allem nicht als Einzelperson ein solches Risiko auf sich nehmen.
In der Folge gab es dann immer wieder Stimmen, die meinten, man solle das Denkmal an den Platz bringen, an dem ursprünglich Pátzays Wallenberg-Denkmal gestanden hatte. Aber ich finde seinen jetzigen Standort gut; es ist allgemein zugänglich und steht in einem wunderschönen Park.
Das ist also die Geschichte des Wallenberg-Denkmals. Dieses Denkmal haben wir zu dritt bewerkstelligt: Miklós Salgó mit der finanziellen Deckung, ich mit der künstlerischen Arbeit; die Familie Wallenbergs hat sich erst später in den Kreis eingereiht. Ich habe das Risiko auf mich genommen; es war damals noch ein ernsthaftes Risiko, aber man konnte es wagen, gewiss. Ich habe es mir in diesen Jahren bewusst zur Aufgabe gemacht, an den tot geschwiegenen, aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängten Holocaust zu erinnern. Teils durch Radnótis Schicksal bewegt, habe ich öfters Entwürfe gemacht, die aber nie realisiert wurden. Von dem Entwurf mit dem Titel "Todesmarsch", den Sie hier sehen, kann ich wirklich sagen, dass er außerordentlich viel versprechend war. Er konnte nie verwirklicht werden.
In der Folge gab es dann immer wieder Stimmen, die meinten, man solle das Denkmal an den Platz bringen, an dem ursprünglich Pátzays Wallenberg-Denkmal gestanden hatte. Aber ich finde seinen jetzigen Standort gut; es ist allgemein zugänglich und steht in einem wunderschönen Park.
Das ist also die Geschichte des Wallenberg-Denkmals. Dieses Denkmal haben wir zu dritt bewerkstelligt: Miklós Salgó mit der finanziellen Deckung, ich mit der künstlerischen Arbeit; die Familie Wallenbergs hat sich erst später in den Kreis eingereiht. Ich habe das Risiko auf mich genommen; es war damals noch ein ernsthaftes Risiko, aber man konnte es wagen, gewiss. Ich habe es mir in diesen Jahren bewusst zur Aufgabe gemacht, an den tot geschwiegenen, aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängten Holocaust zu erinnern. Teils durch Radnótis Schicksal bewegt, habe ich öfters Entwürfe gemacht, die aber nie realisiert wurden. Von dem Entwurf mit dem Titel "Todesmarsch", den Sie hier sehen, kann ich wirklich sagen, dass er außerordentlich viel versprechend war. Er konnte nie verwirklicht werden.
Märtyrer, Opfer und Helden- VI
Nachdem also das Wallenberg-Denkmal schon im Garten der amerikanischen Botschaft aufgestellt war, überlegten mein Freund Miklós Salgó und ich gemeinsam, eine Umzäunung machen zu lassen, durch die das Denkmal zwar "auf die Straße gelangen würde", aber doch nach wie vor auf botschaftseigenem Territorium bliebe; wir würden den Zaun nur so um das Denkmal herumführen, dass es von der Straße her sichtbar und zugänglich wäre. Eines Tages jedoch erhielt ich die Einladung eines anderen Botschafters zum Mittagessen. Ich glaube, wir saßen zu viert um den Tisch herum, jener Botschafter mit seiner Frau, der amerikanische Botschafter und ich. Wir überlegten, wie man das Denkmal doch noch an einem öffentlichen Platz aufstellen könnte. Und die Diplomatie führte zu einer ausgezeichneten Lösung.
János Kádár wurde damals in ein bestimmtes Land eingeladen, und als der Botschafter dieses Landes ihm die Einladung überbrachte, fragte Kádár nach dem vom Protokoll vorgesehenen Ablauf des Besuchs. Der Botschafter meinte, dass gleich nach seiner Ankunft eine Pressekonferenz stattfinden würde. Mit Sicherheit sei dabei auch die Frage zu erwarten, ob es in Ungarn ein Wallenberg-Denkmal gebe. Am Nachmittag des folgenden Tages ging Miklós Salgó, dessen Amtszeit in Ungarn dem Ende entgegenging, zu Kádár, um sich zu verabschieden. Anschließend kam er zu mir und erzählte, er habe zwei Stunden lang nicht gewagt, mit der Sache herauszurücken. Dann habe er sich doch ein Herz gefasst und gesagt: "Herr Generalsekretär, ich würde dem ungarischen Volk gern ein Wallenberg-Denkmal schenken". Kádárs Augen leuchteten auf, denn nun konnte er bei seinem bevorstehenden Besuch sagen, dass es in Ungarn ein Wallenberg-Denkmal gibt... Ich habe an jenem Abend noch vier Anrufe bekommen, die sich alle um das Wallenberg-Denkmal drehten. Einer davon kam von einem Stellvertretenden Vorsitzenden des Hauptstädtischen Rates. Der Mann war zwar aufgebracht, meinte aber trotzdem erleichtert, ich möge vorbeikommen, damit wir uns auf einen geeigneten Standort einigen können - um es kurz zu machen, zwei Wochen später stand das Denkmal auf seinem Platz.
János Kádár wurde damals in ein bestimmtes Land eingeladen, und als der Botschafter dieses Landes ihm die Einladung überbrachte, fragte Kádár nach dem vom Protokoll vorgesehenen Ablauf des Besuchs. Der Botschafter meinte, dass gleich nach seiner Ankunft eine Pressekonferenz stattfinden würde. Mit Sicherheit sei dabei auch die Frage zu erwarten, ob es in Ungarn ein Wallenberg-Denkmal gebe. Am Nachmittag des folgenden Tages ging Miklós Salgó, dessen Amtszeit in Ungarn dem Ende entgegenging, zu Kádár, um sich zu verabschieden. Anschließend kam er zu mir und erzählte, er habe zwei Stunden lang nicht gewagt, mit der Sache herauszurücken. Dann habe er sich doch ein Herz gefasst und gesagt: "Herr Generalsekretär, ich würde dem ungarischen Volk gern ein Wallenberg-Denkmal schenken". Kádárs Augen leuchteten auf, denn nun konnte er bei seinem bevorstehenden Besuch sagen, dass es in Ungarn ein Wallenberg-Denkmal gibt... Ich habe an jenem Abend noch vier Anrufe bekommen, die sich alle um das Wallenberg-Denkmal drehten. Einer davon kam von einem Stellvertretenden Vorsitzenden des Hauptstädtischen Rates. Der Mann war zwar aufgebracht, meinte aber trotzdem erleichtert, ich möge vorbeikommen, damit wir uns auf einen geeigneten Standort einigen können - um es kurz zu machen, zwei Wochen später stand das Denkmal auf seinem Platz.
Märtyrer, Opfer und Helden - V
DONEC ERIS FELIX
MULTOS NUMERABIS AMICOS
TEMPORA SI FUERINT NUBILA
SOLUS ERIS.
Das Wesentliche meines Entwurfs war, dass ich auf eine große Steinplatte die Konturen dieses früheren Denkmals gezeichnet und dann die Steinplatte entzwei gebrochen hatte, so wie ja auch das Denkmal zerbrochen worden war. Zwischen die beiden Bruchstücke stellte ich die Figur jenes Menschen, den ich nicht kennen konnte und nie gesehen hatte. Ich stellte ihn nicht in seiner Wirklichkeit dar, sondern um einiges älter, nicht in seiner Eleganz, der Eleganz eines Diplomaten, sondern in den Holzschuhen und im rauen Kittel eines Mannes im Konzentrationslager, der Zehntausende befreit hatte, sich selbst aber nicht befreien konnte. Und vergeblich öffnet sich die Felsspalte, er kann nicht hindurchgehen. Eine Art mosaischer Geste, mit der Moses das Rote Meer vor seinem flüchtenden Volk geteilt hatte, und eine Art mosaischen Schicksals, gelangte doch Moses selbst nicht mehr nach Kanaan, sondern starb noch auf der Schwelle zum Gelobten Land.
Als die große Bronze fertig war - das mag um 1984/85 gewesen sein -, fuhr ich nach Schweden und wählte eine mächtige Felsplatte aus, die von einem früheren Gletscher stammte, ließ sie verladen und mit Hilfe der amerikanischen Botschaft - anders hätte ich das nicht schaffen können - nach Ungarn bringen. Ich gravierte die Konturen jener früheren Skulptur darauf ein, brach den Stein entzwei und stellte die Bronzefigur zwischen die beiden Teile - das Ganze musste ich im Garten der amerikanischen Botschaft bewerkstelligen, weil ich anderswo keinen Platz dafür bekam. Dort baute ich also das Denkmal auf und schrieb einen lateinischen Satz darauf, einen Ausspruch Ovids, der auf deutsch soviel heißt, wie "solange du glücklich bist, wirst du viele Freunde haben, aber wenn sich der Himmel bewölkt, bleibst du allein." Damit wollte ich auf Wallenbergs Schicksal hinweisen.
MULTOS NUMERABIS AMICOS
TEMPORA SI FUERINT NUBILA
SOLUS ERIS.
Das Wesentliche meines Entwurfs war, dass ich auf eine große Steinplatte die Konturen dieses früheren Denkmals gezeichnet und dann die Steinplatte entzwei gebrochen hatte, so wie ja auch das Denkmal zerbrochen worden war. Zwischen die beiden Bruchstücke stellte ich die Figur jenes Menschen, den ich nicht kennen konnte und nie gesehen hatte. Ich stellte ihn nicht in seiner Wirklichkeit dar, sondern um einiges älter, nicht in seiner Eleganz, der Eleganz eines Diplomaten, sondern in den Holzschuhen und im rauen Kittel eines Mannes im Konzentrationslager, der Zehntausende befreit hatte, sich selbst aber nicht befreien konnte. Und vergeblich öffnet sich die Felsspalte, er kann nicht hindurchgehen. Eine Art mosaischer Geste, mit der Moses das Rote Meer vor seinem flüchtenden Volk geteilt hatte, und eine Art mosaischen Schicksals, gelangte doch Moses selbst nicht mehr nach Kanaan, sondern starb noch auf der Schwelle zum Gelobten Land.
Als die große Bronze fertig war - das mag um 1984/85 gewesen sein -, fuhr ich nach Schweden und wählte eine mächtige Felsplatte aus, die von einem früheren Gletscher stammte, ließ sie verladen und mit Hilfe der amerikanischen Botschaft - anders hätte ich das nicht schaffen können - nach Ungarn bringen. Ich gravierte die Konturen jener früheren Skulptur darauf ein, brach den Stein entzwei und stellte die Bronzefigur zwischen die beiden Teile - das Ganze musste ich im Garten der amerikanischen Botschaft bewerkstelligen, weil ich anderswo keinen Platz dafür bekam. Dort baute ich also das Denkmal auf und schrieb einen lateinischen Satz darauf, einen Ausspruch Ovids, der auf deutsch soviel heißt, wie "solange du glücklich bist, wirst du viele Freunde haben, aber wenn sich der Himmel bewölkt, bleibst du allein." Damit wollte ich auf Wallenbergs Schicksal hinweisen.
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